Studio 6
und Feuer.«
»Ihr scheint mir ja ein paar nette Mädchen zu sein«, sagte Annika. Die Stimme am anderen Ende klang jetzt ärgerlich.
»Jetzt hören Sie mir mal zu. Wir sind die Ninja Barbies, Amazonen, die der Unterdrückung von Frauen und der Gewalt gegen sie den Krieg erklärt haben. Wir machen das nicht mehr mit. Die Ermordete im Park war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Nicht nur wir Frauen sollten Angst davor haben, auf die Straße zu gehen. Die Gewalt wird die Männer ganz genauso treffen, das werden sie schon merken. Wir werden mit den Bullen anfangen, den Heuchlern der Obrigkeit.«
Annika war hellhörig geworden, das klang nach einer richtigen Verrückten.
»Warum rufen Sie uns an?«, fragte sie.
»Wir wollen unsere Botschaft in den Medien verbreiten.
Wir wollen die optimale öffentliche Aufmerksamkeit. Wir bieten dem
Abendblatt
an, bei unserem ersten Angriff dabei zu sein.«
Annika bekam einen trockenen Hals. Was, wenn die Frau es wirklich ernst meinte? Sie schaute sich in der Redaktion um und versuchte Blickkontakt mit jemandem zu bekommen, den sie dann heranwinken könnte.
»Wie … meinen Sie das?«, fragte sie unsicher.
»Wir fangen morgen an«, sagte die Frau. »Wollen Sie dabei sein?«
Annika schaute sich verzweifelt um. Niemand nahm Notiz von ihr.
»Meinen Sie das ernst?«, fragte sie schwach.
»Unsere Bedingungen sind wie folgt«, begann die Frau.
»Wir werden die absolute Kontrolle über alle Texte und Überschriften haben. Uns wird uneingeschränkte Anonymität und die Kontrolle über alle Bilder garantiert.
Außerdem bekommen wir fünfzigtausend Kronen Vorschuss. In bar.«
Annika atmete lautlos in den Hörer.
»Vollkommen ausgeschlossen«, sagte sie dann. »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Sind Sie ganz sicher?«, fragte die Frau am anderen Ende.
»Ich könnte nicht sicherer sein«, bekräftigte Annika.
»Dann rufen wir die Konkurrenz an«, sagte die Frau.
»Tun Sie das. Sie bekommen dort dieselbe Antwort, das kann ich Ihnen garantieren.«
Es klickte in der Leitung, und die Verbindung war tot.
Annika legte den Hörer auf, schloss die Augen und legte das Gesicht in die Hände. Was, um Himmels willen, sollte sie jetzt tun? Die Polizei anrufen? Spiken alles erzählen?
So tun, als wäre nichts gewesen? Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie in jedem Fall Ärger bekommen würde.
»Hier sitzen die Abendreporter«, hörte sie den Chefredakteur sagen.
Sie schaute auf und sah die Redaktionsleitung vom Newsdesk her auf sie zukommen. Die Gruppe bestand neben dem Chefredakteur aus dem neuen Ressortchef Anders Schyman, den Leitern der Ressorts Sport, Unterhaltung, Kultur, Bild und einem der Leitartikler. Alle waren Männer, und außer Anders Schyman trugen alle dieselben dunkelblauen Wollsakkos, Jeans und glänzende Schuhe. Sie erinnerte sich plötzlich daran, wie Anne Snapphane sie nannte, und musste lachen. Flanelllappen.
Die Gruppe blieb vor ihrem Schreibtisch stehen.
»Die Abendreporter fangen um zwölf Uhr an und arbeiten bis dreiundzwanzig Uhr«, sagte der Chefredakteur mit dem Rücken zu Annika. »Sie arbeiten nach einem rotierenden Schichtsystem, viele von ihnen sind Vertretungen.
Wir sehen die Abendschicht ein wenig als eine Art Ausbildung …«
Er wollte gerade weitergehen, als Anders Schyman sich aus der Gruppe löste und auf sie zukam.
»Ich heiße Anders Schyman«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
Annika sah vorsichtig zu ihm auf.
»Ja, das habe ich auch schon gehört«, erwiderte sie, lachte und gab ihm die Hand. »Annika Bengtzon.«
Er erwiderte ihr Lachen, und sie nickten einander zu.
»Sie haben über den Mord an Josefine Liljeberg berichtet«, sagte er. Sie wurde rot.
»Ja, eine üble Geschichte«, entgegnete sie.
»Sind Sie fest angestellt?«
Annika schüttelte den Kopf.
»Nein, ganz und gar nicht, ich bin nur für den Sommer hier. Meine Zeit läuft in ein paar Wochen aus.«
»Wir haben sicher später noch Gelegenheit, mal in Ruhe zu reden«, meinte Anders Schyman und wandte sich wieder den Flanelllappen zu. Die Blicke, die sich zuvor auf Annika gerichtet hatten, hoben ab und überflogen die Redaktion. Sie sah es und fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
Als die Gruppe in der Sportredaktion verschwunden war, fasste sie einen Beschluss.
Sie war keine Petze. Sie würde nicht die Polizei anrufen und ihr von den Ninja Barbies erzählen, und sie würde auch Spiken nichts davon sagen. Es riefen jeden Tag so viele
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