Studio 6
Arbeitsplätzen.«
Annika schnitt sich ein Tortenstück Pizza ab und nahm es in die Hand. Sie kaute schweigend und leckte sich hinterher nachdenklich die Finger ab.
»Also, ich will ja nicht besserwisserisch wirken, aber machst du die Sache nicht schlimmer, als sie eigentlich ist?«
Berit verschränkte die Arme und lehnte sich zurück.
»Ich weiß, dass man gern so denkt«, sagte sie. »Es breitet sich eine allgemeine Geschichtslosigkeit aus. Wir reden von den fünfziger Jahren – der Steinzeit in den Augen der modernen Generation.«
Annika schob ihren Teller zur Seite und wischte sich die Hände an der Serviette ab.
»Was passierte dann, nach den fünfziger Jahren?«, fragte sie.
»IB«, sagte Berit, »wurde 1957 gebildet.«
»Das Informationsbüro oder was?«, fragte Annika.
»Interaktion Birger«, antwortete Berit. »Nach dem Chef des Nachrichtendienstes im Inneren, Birger Eimer, benannt. Die Auslandsspionage wurde eine Zeit lang TBüro genannt, nach dem Chef Thede Palm.«
Annika schüttelte den Kopf.
»Meine Güte, wie chaotisch«, sagte sie. »Wie behältst du das bloß alles im Kopf?«
Berit lächelte ein wenig und entspannte sich.
»Ich hatte
Folket i Bild / Kulturfront,
die Zeitschrift, für die Guillou damals arbeitete, abonniert, als das alles herauskam. Es war Nummer neun von 1973. Ich habe seither eine Menge über die IB und die Sozialdemokratische Partei geschrieben. Nichts Revolutionäres, aber ich bin auf dem Laufenden geblieben.«
»Mein Vater hat ziemlich viel von der IB erzählt«, sagte Annika. »Er meinte immer, das werde alles wahnsinnig aufgeblasen. Es gehe schließlich um die Sicherheit des Landes, meinte er, und eigentlich müsse man den Sozis dafür dankbar sein, dass sie das Beste für das Land wollten und die Verantwortung übernähmen.«
Berit stellte ihr Glas mit einem Knall auf den Tisch.
»Die Sozis haben die Ansichten der Bevölkerung registriert, weil das für die Sozis das Beste war. Sie haben ihre eigenen Gesetze gebrochen, haben gelogen und manipuliert. Übrigens lügen sie immer noch. Ich habe heute mit dem Parteisprecher gesprochen. Er leugnet stur und steif, Birger Eimer gekannt oder etwas mit der IB zu tun gehabt zu haben.«
»Vielleicht sagt er die Wahrheit«, meinte Annika.
Berit schaute sie mitleidig an.
»Glaube mir«, sagte sie, »die IB ist die Achillesferse der Sozis, ihr großer, gigantischer Fehler und gleichzeitig das, womit sie ihre Macht erhalten haben. Sie tun, was sie können, um ihre Übergriffe zu vertuschen. Mit Hilfe der Sapo haben sie das ganze schwedische Volk katalogisiert.
Sie haben Menschen wegen ihrer Ansichten verfolgt, haben dafür gesorgt, dass sie aus ihren Gemeinschaften herausgedrängt und von ihren Arbeitsplätzen vertrieben wurden. Und sie werden weiter lügen, solange die Beweise nicht erdrückend sind. Und dann werden sie anfangen, sich herauszureden.«
»Was war denn die Sapo eigentlich genau? Eine sozialdemokratische Sicherheitspolizei?«
»Nein, Sapo steht für eine sozialdemokratische Vertretung am Arbeitsplatz. Oberflächlich betrachtet ist das keine anrüchige Angelegenheit, die Sapo sollte die Vorstellungen der Partei an den Arbeitsplätzen verbreiten.«
»Und wieso war dann alles so geheim?«
»Weil die Sapo-Leute die Ameisen in der IBOrganisation darstellten. Alles, was sie berichteten, landete bei Eimer und bei der Regierung. Damit ist die Sapo sozusagen des Pudels Kern, der Beweis, dass die IB und die Sozis ein und dieselbe Sache sind.«
Annika schaute in den Sommerabend hinaus. Drei verstaubte Benjamini aus Stoff trübten die Aussicht.
Dahinter bildeten die schmutzigen Restaurantfenster einen grauen Schleier vor dem Verkehr draußen.
»Und, was gab es jetzt im Archiv des Außenministeriums?«, fragte sie.
Berit holte tief Luft.
»Die Namen von massenhaft Agenten, Journalisten, Seeleuten, Hilfsarbeitern, kurz: von Leuten, die viel reisten. Sie haben Berichte geschickt, die helfen sollten, drohende Krisen vorauszusehen. Unter anderem hatten sie Agenten in Vietnam, die Berichte nach Hause schickten, die dann sogleich an die Amerikaner und häufig auch an die Briten weitergeleitet wurden. Pierre Schori war einer von denen, die herumreisten und so genannte Reiseberichte erstellten. Eigentlich waren es reine Spionageberichte, denn sie handelten von Dingen wie der vietnamesischen Infrastruktur, wie die Leute lebten und reagierten und wie fertig sie waren.«
»Aber Schweden ist doch neutral«, meinte Annika
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