Studio 6
Augenblicke, bis die Information zu ihr vordrang. Sie hatte den Eindruck, ihr würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie, suchte Halt am Empfangstresen und las den Aufmacher noch einmal. »TERRORANSCHLAG HEUTE NACHT – Die Ninja Barbies fordern die Polizei heraus«, und dann ein großes Bild von einem brennenden Auto.
»Wer hat den Artikel geschrieben?«, flüsterte sie.
»Sensationen und Skandale, mit was anderem beschäftigen wir uns doch nicht«, schimpfte Tore Brand.
Sie nahm sich eine Zeitung aus dem Stapel am Empfang.
Die erste Seite wurde von einem Foto des Außenhandelsministers Christer Lundgren dominiert. Neben ihm, den Arm um seine Schultern gelegt, stand der Ministerpräsident. Beide Männer lachten herzlich. Das Bild war gemacht worden, als der Minister acht Monate zuvor berufen und der Presse vorgestellt worden war. Die Headline war ziemlich schwach, fand Annika. »IM GEGENWIND«.
Beim Aufmacher war ein Hinweis auf die Seiten sechs und sieben. Sie blätterte mit zitternden Händen durch den ersten Teil der Zeitung, ließ den Blick über die Seite gleiten und suchte nach dem Namen des Reporters. Carl Wennergren.
Sie ließ die Zeitung sinken.
»Ist doch schrecklich, oder?«, meinte Tore Brand.
»Da haben Sie verdammt Recht«, antwortete Annika und ging zum Fahrstuhl hinüber.
Sie setzte sich mit einem großen Becher Kaffee und einem Baguettebrötchen in die Cafeteria. Das Getränk wurde kalt, während sie die Artikel las, zunächst den über die Ninja Barbies und dann den über den des Mordes verdächtigten Minister.
Sie haben ihren Willen bekommen, dachte sie und sah sich lange das Bild mit dem brennenden Auto an. Das Fahrzeug lag auf der Seite, mit dem Unterboden in Richtung Fotograf, der übrigens auch Carl Wennergren hieß. Aus dem Bildtext ging hervor, dass das Auto einem Polizeichef aus dem Großraum Stockholm gehörte. Hinter den Flammen konnte man eine Backsteinvilla aus den sechziger Jahren erkennen. Im Artikel durften die Ninja Barbies dann ihre kindische, gewalttätige Botschaft verkünden. Der ganze Text enthielt nicht ein einziges kritisches Wort. Pfui, dachte sie, er soll sich schämen, der miese Kerl.
Der Text über den Minister im Gegenwind war besser.
Er griff die in Studio 6 geäußerten Vorwürfe als das auf, was sie waren: unbestätigte Informationen über wirre Mordverdächtigungen. Der Minister hatte nicht für einen Kommentar zur Verfügung gestanden, aber seine Pressesprecherin Karina Björnlund bekräftigte, dass alle Verdächtigungen völlig aus der Luft gegriffen seien.
Annika wusste nicht, was sie glauben sollte. Christer Lundgren war wirklich verhört worden, das hatte der Pressesprecher bereits gestern im Radio bestätigt. Andere im Radio verbreitete Informationen waren dagegen garantiert falsch. Und was war aus dem Verdacht gegen Joachim geworden?
Sie warf das Brötchen in den Mülleimer, ohne es überhaupt aus dem Plastik gewickelt zu haben. Den inzwischen kalten Kaffee trank sie in drei gierigen Schlucken aus.
Spiken saß auf seinem Platz, den Hörer fest am Ohr. Er zeigte kein Erstaunen darüber, dass Annika an ihrem freien Tag auftauchte – das war bei Sommervertretungen so üblich.
»Sie haben sich ja ganz schön getäuscht bei dem Mord mit dem Mädchen«, sagte er, als er den Hörer auf die Gabel gedrückt hatte.
»Sie meinen den Minister? Die Geschichte stimmt nicht«, erwiderte Annika.
»Ach nee«, meinte Spiken, »und wieso nicht?«
»Das werde ich heute rausfinden, wenn es recht ist.«
»Zum Glück haben wir den Knüller mit den Ninja Barbies gekriegt«, knurrte er. »Sonst hätten wir den Mord und den Minister größer bringen müssen. Und es wäre doch ziemlich komisch gewesen, wenn wir zwei Tage hintereinander zwei verschiedene Mörder präsentiert hätten, meinen Sie nicht?«
Annika wurde rot. Darauf wusste sie nichts zu erwidern.
Spikens Blick war kalt und abwartend.
»Der gute Carl hat dafür gesorgt, dass wir unsere Ehre nicht verloren haben«, tönte der Nachrichtenchef, sauste auf dem Bürosessel herum und zeigte ihr seine beginnende Glatze auf dem Hinterkopf. »Wie schön«, sagte Annika.
»Ist Berit da?«
»Sie ist auf Fårö und jagt einen Parteisprecher. Die IBAffäre«, antwortete Spiken, ohne sich umzudrehen.
Sie ging zu ihrem Platz und ließ die Tasche auf den Boden fallen. Ihre Wangen brannten. Was sie betraf, würde es wahrscheinlich erst mal ziemlich lange keine
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