Stürmische Begegnung
hinter einem niedrigen Klapptisch hervor. Er hob es hoch, stellte eine Ecke auf den Schreibtisch, und ich sah, daß es von meinem Großvater war. Die Signatur unten rechts war gut zu lesen, und darunter stand das Jahr, in dem er es gemalt hatte, 1932.
„Ich habe es erst vor ein paar Tagen gekauft. Es muß natürlich gereinigt werden, aber ich finde es sehr schön.“
Ich trat näher, um es zu betrachten. Es zeigte Sanddünen im Schein der Abendsonne und zwei kleine nackte Jungen, die sich über einen Haufen Muscheln beugten. Es war vielleicht etwas altmodisch, aber der Aufbau war meisterhaft, die Farben fein und dennoch kräftig, so daß die Jungen ungeachtet ihrer verletz lichen Nacktheit ganz robust wirkten – als ob sie nicht mit sich spaßen lassen würden.
„Er hat gut gemalt, nicht wahr?“ Ich konnte den Stolz in mei ner Stimme nicht unterdrücken.
„Ja. Ein großartiger Kolorist.“ Er stellte das Bild wieder hin. „Kennen Sie ihn gut?“
„Nein, ich kenne ihn gar nicht. Ich habe ihn nie kennen gelernt.“
Er sagte nichts, sondern stand da und wartete, daß ich diese merkwürdige Tatsache näher erklärte. Um das Schweigen zu be enden, fuhr ich fort: „Aber ich finde, es wird langsam Zeit, daß ich es tue. Ich fahre Montag nach Cornwall.“
„Das ist ja großartig. Die Straßen werden um diese Jahreszeit frei sein, und es ist eine wunderschöne Fahrt.“
„Ich fahre mit dem Zug. Ich habe kein Auto.“
„Auch mit dem Zug ist es eine sehr schöne Fahrt. Ich hoffe, daß die Sonne scheinen wird.“
„Vielen Dank.“
Wir gingen zur Tür. Er hielt sie mir auf, und ich nahm meinen Koffer. „Sie werden gut auf meine Stühle aufpassen?“
„Natürlich. Auf Wiedersehen. Und eine schöne Zeit in Corn wall.“
3
A ber die Sonne schien nicht. Der Montagmorgen graute so trübe und abweisend wie die Tage davor, und meine schwache Hoffnung, daß es aufklaren würde, während der Zug nach Westen brauste, erstarb bald, denn der Himmel wurde mit jedem Kilometer düsterer, und schließlich regnete es in Strömen. Ich konnte kaum etwas durch das klatsch nasse Fenster sehen, nur die verwischten Umrisse von Hügeln und Bauernhöfen huschten vorbei, und dann und wann die dicht aneinandergedrängten Dächer eines Dorfes, oder wir sau sten durch den halbleeren Bahnhof einer unscheinbaren Klein stadt.
Hinter Plymouth würde es anders sein, tröstete ich mich. Wir würden die Saltash-Brücke überqueren und uns in einem anderen Land befinden, mit einem anderen Klima, rosa getünchten Häusern, Palmen und dem hellen Schein der Wintersonne. Aber es regnete natürlich nur noch heftiger, und während ich auf die nassen Felder und die kahlen, vom Wind geschüttelten Bäume hinausstarrte, verlor ich allmählich jeden Mut.
Als wir in den Bahnhof einfuhren, wo ich umsteigen mußte, war es fast Viertel vor fünf, und der düstere Nachmittag war schon in die Abenddämmerung übergegangen. Der Zug hielt am Bahnsteig, eine einsame Palme zeichnete sich wie ein zerbroche ner Regenschirm vor dem Nieseldunst ab, und das Schild mit der Aufschrift St. Abbotts, nach Porthkerris bitte umsteigen tanzte im Wind. Ich schulterte meinen Rucksack und öffnete die schwere Tür, die mir sofort von einer Bö aus der Hand gerissen wurde. Der eisige Wind, der vom dunklen Meer über das Land jagte, nahm mir den Atem. Ich nahm meine Tasche, sprang auf den Bahnsteig und folgte dem Strom der Reisenden über die Holzbrücke zum Bahnhofsgebäude auf der anderen Seite. Of fenbar wurden die meisten Leute von Freunden abgeholt, oder sie schritten zielsicher durch die Sperre, als wüßten sie, daß dort ein Wagen auf sie wartete. Ich folgte ihnen einfach durch die neue, sonderbare Umgebung und hoffte, daß sie mich zu einem Taxi führen würden. Doch als ich auf den Bahnhofsplatz trat, sah ich weit und breit keines. Ich war zu schüchtern, um zu fra gen, und dann verschwanden auch die Rücklichter des letzten Wagens auf der kleinen Straße, die den Hang zur Hauptstraße hinaufführte, und ich mußte zum Fahrkartenschalter zurückge hen, um mich zu erkundigen.
Ein Träger verstaute Hühnerkisten in einem Lagerraum, in dem es nach vielerlei Dingen roch.
„Entschuldigung, ich muß nach Porthkerris. Kann ich hier vielleicht ein Taxi bekommen?“
Er schüttelte langsam, beinahe mitleidig, den Kopf. „Nein, junge Frau, das gibt’s hier nicht. Nach Porthkerris müssen Sie den Bus nehmen, der fährt alle Stunde.“ Er blickte zu der
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