Stürmische Begegnung
wurde entsprechend den gesetzlichen Vorschriften in Spa nien noch am selben Tag beerdigt, auf dem kleinen Dorffriedhof. Außer Otto, Maria und mir war nur der Geistliche da. Als es vorbei war, legte ich den Mandelblütenzweig auf ihr Grab.
Am nächsten Morgen flog ich zurück nach London. Otto brachte mich mit dem Auto zum Flughafen. Wir schwiegen die meiste Zeit, doch als wir uns dem Flughafengebäude näherten, sagte er plötzlich: „Rebecca, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich hätte Lisa geheiratet. Ich hätte sie geheiratet, aber ich habe schon eine Frau, in Schweden. Wir leben getrennt, schon seit Jahren, aber sie wollte sich nicht von mir scheiden lassen, weil ihre Religion es nicht erlaubt.“
„Sie brauchen es mir nicht zu sagen, Otto.“
„Ich möchte, daß Sie es wissen.“
„Sie haben sie so glücklich gemacht. Sie haben so rührend für sie gesorgt.“
„Ich bin froh, daß Sie gekommen sind. Ich bin froh, daß Sie sie noch einmal gesehen haben.“
„Ja.“ Ich hatte auf einmal einen dicken Kloß im Hals, und mir stiegen brennende Tränen in die Augen. „Ja, ich bin auch froh.“
Als ich eingecheckt hatte, standen wir in der Abflughalle und sahen uns an.
„Warten Sie nicht“, sagte ich. „Gehen Sie. Ich hasse lange Ab schiede.“
„Gut… Aber ehe ich es vergesse…“ Er griff in seine Tasche und holte drei dünne, oft getragene Silberarmreifen heraus. Meine Mutter hatte sie immer getragen. Auch gestern abend. „Sie müssen sie nehmen.“ Er nahm meine Hand und schob die Armreifen darüber. „Und das auch.“ Damit holte er einige zu sammengefaltete britische Geldscheine aus der anderen Tasche. Er drückte sie mir in die Hand und schloß meine Finger darüber. „Es war in ihrer Handtasche… Also gehört es Ihnen.“
Ich wußte, daß es nicht in ihrer Handtasche gewesen war. Sie hatte nie Geld in ihrer Handtasche gehabt, bis auf ein paar Mün zen für das Telefon. Und einige längst fällige Rechnungen, mit Eselsohren. Aber in Ottos Gesicht war etwas, das keine Wider rede duldete, und so nahm ich das Geld und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Er wandte sich ab und ging, ohne noch ein Wort zu sagen.
Ich flog zurück, mit einem Gefühl kläglicher Unschlüssigkeit. Ich war vollkommen ausgelaugt, konnte nicht einmal Kummer spüren. Obwohl ich körperlich total erschöpft war, konnte ich nicht schlafen und schüttelte dankend den Kopf, als die Stewar deß mir etwas zu essen geben wollte. Sie brachte mir einen Tee, und ich versuchte, ihn zu trinken, aber er schmeckte bitter, also ließ ich ihn stehen.
Es war, als wäre eine lange verschlossene Tür geöffnet worden, aber nur einen Spalt weit, und nun lag es bei mir, sie ganz zu öffnen, obgleich das, was dahinter lag, dunkel und voll Unge wißheit war.
Vielleicht sollte ich nach Cornwall fahren und die Familie mei ner Mutter ausfindig machen, aber das wenige, was sie mir von den Verhältnissen in Porthkerris erzählt hatte, war nicht sehr ermutigend. Mein Großvater mußte jetzt sehr alt sein, einsam und wahrscheinlich verbittert. Mir wurde bewußt, daß ich mit Otto Pedersen nicht darüber gesprochen hatte, wer ihm mittei len sollte, daß meine Mutter gestorben war. Also bestand zumin dest die Möglichkeit, daß ich, wenn ich ihn besuchte, diejenige sein mußte, die ihm die traurige Nachricht überbrachte. Außer dem machte ich ihm einen gewissen Vorwurf, weil er zugelassen hatte, daß seine Tochter ihr Leben so wegwarf. Ich wußte, sie war impulsiv und leichtsinnig gewesen, und auch dickköpfig, aber er hätte ein bißchen mehr Verständnis für sie haben können. Er hätte sie ausfindig machen können, ihr seine Hilfe anbieten, mich, seine Enkelin, besuchen können. Aber er hatte nichts von alldem getan, und das würde mit Sicherheit immer wie eine Mauer zwischen uns stehen.
Und doch sehnte ich mich nach meinen Wurzeln, nach meiner Familie. Ich wollte nicht unbedingt mit ihr leben, aber ich wollte, daß es sie gab. Es gab in Boscarva Dinge, die meiner Mutter ge hört hatten, und deshalb gehörten sie nun mir. Sie hatte gewollt, daß ich sie bekam, sie hatte es sogar gesagt, und deshalb war ich vielleicht verpflichtet, nach Cornwall zu fahren und sie zu holen, aber allein aus diesem Grund hinzufahren kam mir herzlos und egoistisch vor. Ich lehnte mich zurück, nickte ein und hörte wie der die Stimme meiner Mutter.
„Ich hatte keine Angst vor ihm. Ich liebte ihn. Ich hätte hin fahren sollen.“
Und sie hatte
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