Stürmische Verlobung
über dem Kaminsims.
Eliza beobachtete im Spiegel, wie ihre Schwester ängstlich ihre fleckigen Wangen betastete. Kurz verzerrte ein entsetzter Ausdruck Graces Gesicht, dann wirbelte sie wütend herum.
»Mein Gesicht! Seht ihr das?«, sagte Grace jammernd zu ihren Tanten. »Seht ihr, was sie meinem Gesicht angetan hat?«
Tante Letitia klopfte zweimal mit ihrem Gehstock auf den Boden. »Grace, ich versichere dir, niemand hat Schuld an den Flecken in deinem Gesicht. Geh in dein Zimmer, zieh dir etwas Trockenes an, und beruhige deine Nerven.«
Grace schrie erbost auf und stürmte zur Tür.
Eliza setzte sich ebenfalls in Bewegung und folgte ihrer Schwester dichtauf wie ein Schatten. Unvermittelt schnellte Tante Letitias Gehstock zwischen sie beide und versperrte Eliza den Fluchtweg.
»Eliza, du bleibst hier. Viola und ich möchten dich noch kurz auf ein Wort sprechen.«
Eliza nickte, drehte sich wieder um und setzte sich in den Sessel neben dem Kamin. Innerlich wand sie sich. Sie war sich nur zu bewusst, dass sie jegliche Bestrafung verdiente, die ihre Tanten sich für sie ausgedacht hatten. Soweit es die vornehme Gesellschaft anging, war ihre Lasterhaftigkeit unverzeihlich.
Doch es war so wunderbar gewesen. Ihr Körper hatte sich noch nie so lebendig angefühlt, wenngleich nun auch ein wenig wund. Sie spürte, wie ihr bei der Erinnerung daran heißes Blut in die Wangen schoss.
Ihre Tanten nahmen auf dem Sofa Platz. Tante Letitia ergriff leise das Wort: »Es freut mich sehr, dass du deine Pläne, in Italien Kunst zu studieren, aufgegeben hast, um dir Lord Somerton zu angeln. Aber was du heute Abend getan hast, war sehr, sehr riskant, Eliza.«
Tante Viola fuchtelte mit ihrer Hand. »Verstehe uns nicht falsch, wir finden deine Entschlossenheit und deinen Einfallsreichtum sehr löblich, Liebes.«
Eliza runzelte verwirrt die Stirn. »Entschuldigt bitte, aber ich verstehe nicht, was ihr meint.«
»Stell dich nicht dumm, Lizzy«, sagte Tante Letitia. »Es ist offensichtlich, dass du wieder das Regelbuch zu Rate gezogen und beschlossen hast, die Strategien auf eigene Faust anzuwenden.«
Eliza musste unwillkürlich leise lachen. »Wie kommst du denn auf die Idee, Tantchen?«
»Nun, Regel dreizehn natürlich«, antwortete Tante Viola.
»Regel dreizehn?« Eliza schluckte.
Tante Letitia stand auf und verließ den Salon. Kurz darauf kehrte sie, sehr zu Elizas Bestürzung, mit dem scharlachroten Buch zurück. Ihre Tante blätterte behutsam die dünnen Seiten um, dann hielt sie sich ihre Lorgnette vor die Augen und begann, die fette schwarze Überschrift am Kopf der Seite vorzulesen: » Benutze einen Köder, um ihn auf sicheren Boden zu locken. Dort kann seine Überlegenheit gebrochen werden. «
»Du hast Lord Somerton mit dem geschenkten Gemälde geködert, oder nicht?« Tante Violas Stimme war sanft und leise.
»Oh, natürlich hat sie das«, fiel ihr Tante Letitia ins Wort. »Wir verstehen ja, was du beabsichtigt hast, Eliza, aber du solltest diese Strategien nicht auf eigene Faust versuchen. Wir müssen die Regeln besprechen, bevor wir ins Feld ziehen.«
Tante Letitia schlug das Buch zu und legte es auf den Tisch. Tante Viola ging zu Eliza und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»In Zukunft, erlaube uns bitte, dir mit Führung und Rat zur Seite zu stehen.« Tante Letitia kam ebenfalls zum Kamin und gesellte sich zu Viola und Eliza. »Wir haben weit größere
Erfahrung mit der Londoner Gesellschaft als du, und du kannst von unserem Wissen profitieren.«
»Ja, Tantchen.« Eliza entließ den Atem, den sie so lange angehalten hatte, aus ihrer Lunge.
»Nun, wir sollten uns jetzt auch besser umziehen«, sagte Tante Viola zu ihrer Schwester. »Wir wollen uns schließlich nicht den Tod holen.«
»Wie recht du hast.« Tante Letitia wendete Elizas Gesicht mit ihrem Zeigefinger zu sich. »Kopf hoch, Lizzy. Der heutige Abend ist nicht vergebens gewesen. Wenn ich Lord Somertons Miene und Gebaren richtig deute, hast du ihn bereits beim … Hosenzipfel .« Mit diesen Worten verließen die beiden Tanten kichernd den Salon und schlossen die Tür hinter sich.
Eliza atmete erleichtert auf und trat an den Kamin. Sie stützte ihre Ellbogen auf den Sims, vergrub ihr Gesicht in den Händen und schloss die Augen. Wie durch ein Wunder war es ihr gelungen, sich dem Tadel zu entziehen, den sie befürchtet hatte.
Doch was hatte sie getan? Warum war sie so machtlos gegen seine Berührung? Ein Kuss genügte. Ein Kuss, und alle
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