Stuermischer Zauber
Jean und ihre Männer nicht die Nacht durchmarschiert wären, hätte man sie heute Morgen eingeholt.«
»Regen wird sie am Morgen aufhalten.«
»Du hast bereits genug deiner Kraft zurückgewonnen, um ein Gewitter zu beschwören?«, fragte Gwynne und blickte ihn hoffnungsvoll an.
Er antwortete nicht, sondern wandte sich zu einer der Schießscharten um, atmete die nasskalte Nachtluft ein und begann, den Himmel abzusuchen. Im April war der Regen nie weit entfernt. Duncan fand Regenwolken über den Hebriden und einen heulenden Sturm nahe den Orkneys. Er schwelgte in seiner wiedergewonnenen Fähigkeit, die Winde zu formieren, und rief sie zu sich. Die schwere Feuchtigkeit, die bereits über Glen Rath hing, fügte er zu den Wolken hinzu. In wenigen Minuten begannen die ersten Regentropfen zu fallen, und die Wettermagie wischte einiges von seiner Wut fort.
Duncan drehte sich vom Fenster weg. »Der Regen wird beständig stärker werden«, sagte er. »Gegen Tagesanbruch wird ein ordentlicher Sturm unsere Regierungstruppen durcheinanderwirbeln. Die Spuren der Flüchtlinge sollten zum Großteil verschwunden sein.«
»Auld Donald hat eine Viehherde die Straße entlanggetrieben. Auf dem aufgeweichten, von Hufabdrücken übersäten Boden wird es unmöglich sein, die Spur zur Festung zu verfolgen.«
Duncan nickte zustimmend. Wie klug von Donald, daran zu denken! »Nördlich des Tals gibt es einige Pfade, die in unterschiedliche Richtungen führen. Mit etwas Glück werden die Hannoveraner nicht sagen können, in welche Richtung Jean weitergezogen ist.«
»Selbst wenn das Wetter ihr Marschtempo bremst, werden sie bestimmt am frühen Nachmittag hier eintreffen.« Gwynne runzelte die Stirn. »Wenn ich vorgebe, eine gute Whig zu sein, werde ich ihnen ein Nachtquartier anbieten müssen.«
Er blickte finster drein. »Ich denke nicht, dass ich ihnen gegenüber höflich sein kann.«
»Das wirst du nicht müssen. Ich habe mir ein paar hübsche Lügen ausgedacht.«
Ihr Plan war gut, das musste er zugeben, als Gwynne ihn erläuterte. Aber nichts, das sie sagte oder tat, würde je die tiefen Wunden ihres Verrats aus der Welt schaffen.
36. Kapitel
Das Mädchen Annie betrat das Wohnzimmer und machte einen Knicks. »Mistress, eine Gruppe Regierungssoldaten ist soeben angekommen, und der kommandierende Offizier Colonel Ormond möchte gern mit Euch sprechen.«
Gwynne versuchte, ihren beschleunigten Herzschlag angesichts der erwarteten Nachricht zu beruhigen. Sie legte die Feder beiseite, mit der sie einen Brief an Lady Bethany geschrieben hatte – ein Brief, der nichts Bedeutsames, sondern nur die Art nichtssagendes Geplauder enthielt, das man bei zwei adeligen Damen erwartete. Durchaus unschuldig, falls ein argwöhnischer Offizier beschloss, ihn zu lesen.
Die Flüchtlinge, die Heilerinnen und Duncan waren sicher hinter dem Illusionszauber verborgen. Die restlichen Bewohner von Glen Rath gingen ihrer normalen Arbeit nach und waren bereit, Unwissenheit über mögliche Jakobiten im Tal zu heucheln. Es war immer problematisch, wenn so viele Menschen versuchten, ein Geheimnis zu bewahren. Wie herrlich wäre es, wenn es einen Zauber gäbe, den man über das Tal legen könnte, damit die Leute sich daran erinnerten, wie sie überzeugend wirken konnten! Doch Gwynnes Magie hatte Grenzen. Diese Situation erforderte die Hilfe einer höheren Macht.
Gwynne blickte auf und zeigte sich von ihrer höflichsten Seite. »Wie nett, ein bisschen Ablenkung zu bekommen! Bitte geleite Colonel Ormond zu mir und bring uns Erfrischungen. Wenn er bei diesem fürchterlichen Wetter unterwegs ist, wird er sicher etwas Wärmendes brauchen.«
»Allerdings, Lady Ballister, ich werde Euch überaus dankbar dafür sein.« Die männliche Stimme gehörte einem rot berockten Offizier, der in der Tür stand. Er war dem Mädchen gefolgt, vermutlich in der Hoffnung, die Dame des Hauses bei einer verdächtigen Tätigkeit zu ertappen. Colonel Ormond war groß, sein längliches Gesicht wettergegerbt. Trotz seiner völlig durchnässten Stiefel und der tropfenden Perücke wirkte er so steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt.
Gwynne erhob sich von ihrem Schreibtisch mit den exquisiten Einlegearbeiten. Heute hatte sie ein weit ausladendes Kleid gewählt, das besser in einen Londoner Salon als in die Highlands gepasst hätte. Dazu trug sie eine aufwendige, hoch aufgetürmte und gepuderte Lockenperücke. Sie hoffte, in seinen Augen zu englisch auszusehen, um eine
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