Stürmisches Herz
noch nicht.« Das Messer schnitt jetzt in seinen linken Zeigefinger. »Chandos!«
Er ließ das Messer fallen, hob die Hände zum Gesicht, legte beide Zeigefinger auf die Mitte seiner Stirn und bewegte sie nach außen zu den Schläfen hin, so daß sie oberhalb seiner Augenbrauen leuchtendrote Blutspuren hinterließen. Dann führte er die Finger zur Nasenwurzel zurück und von dort über die Wangen hinunter zum Kinn, so daß weitere blutige Streifen zurückblieben.
Einen Augenblick lang sah Courtney nur die blutigen Streifen, die Courtneys Gesicht in vier Teile zerschnitten.
Doch dann fiel ihr auf, wie kraß sich seine blauen Augen von der bronzefarbenen Haut abhoben.
»Du! Das warst du! O Gott!«
Sie war kaum fähig, klar zu denken, weil die alte Angst in ihr aufstieg, und rannte blindlings davon. Auf halber Höhe des Hügels holte er sie ein. Sie stürzten beide zu Boden, doch er fing die Wucht des Aufpralls ab und legte die Arme schützend um sie, als sie bis zum Fuß des Hügels hinunterkollerten.
Als sie zum Stillstand kamen, versuchte Courtney aufzustehen, doch er drückte sie auf den Boden. Ihre Angst versetzte sie zurück in Elroy Browers Scheune.
»Warum hast du es mir gezeigt? Warum? Wisch dir das Blut ab! Das bist nicht du.«
»O doch, ich bin es«, erwiderte er erbarmungslos. »Das bin ich; so bin ich immer gewesen.«
»Nein!« Sie schüttelte abwehrend den Kopf und konnte nicht mehr damit aufhören. »Nein, nein.«
»Sieh mich an!«
»Nein! Du hast meinen Vater getötet. Du hast meinen Vater getötet!«
»Genau das habe ich bestimmt nicht getan. Lieg doch endlich still, verdammt!« Er packte ihre Hände, die auf ihn einschlugen, und drückte sie auf ihr aufgelöstes Haar, das über den Boden gebreitet war. »Wir haben nur den Farmer mitgenommen. Die übrigen ließen wir liegen, weil wir annahmen, daß sie tot waren.«
»Der Farmer.« Sie stöhnte, als die Erinnerung wiederkehrte. »Ich weiß, was ihm die Indianer angetan haben. Mattie hat einmal gehört, wie die Leute darüber gesprochen haben, und hat es mir erzählt. Wie konntest du dich daran beteiligen? Wie konntest du zulassen, daß sie ihn so verstümmelten?«
»Zulassen?« Er schüttelte den Kopf. »Täusche dich nicht. Der Farmer hat mir gehört. Er ist von meiner Hand gestorben.«
Er hätte ihr erklären können, warum er es getan hatte, aber er schwieg. Er wartete, bis sie sich von ihm losriß und auf die Bar M zulief. Als sie aus seinem Blickfeld verschwand, erhob er sich langsam.
Er hatte getan, was er sich vorgenommen hatte. Was immer sie für ihn empfand – er hatte es getötet. Jetzt würde er nie erfahren, ob sie mit dem Leben zufrieden gewesen wäre, das er ihr hätte bieten können. Er hatte ihr die Freiheit gegeben. Wenn es für ihn nur genauso einfach gewesen wäre, sich von ihr zu befreien …
Chandos wischte sich das Blut vom Gesicht und stieg den Hügel hinauf. Als er näherkam, wurden die Pferde unruhig. Wahrscheinlich waren sie genauso unruhig geworden, als sich der Cowboy genähert hatte, aber Chandos war mit Courtney so beschäftigt gewesen, daß er ihn nicht bemerkt hatte. Sogar jetzt war er noch so geistesabwesend, daß er den am Feuer hockenden Mann erst bemerkte, als er bis auf einen Meter an ihn herangekommen war. Er hatte nicht geglaubt, daß er diesen Menschen jemals wiedersehen würde.
»Immer mit der Ruhe, Kane«, sagte der Mann, als Chandos' Haltung drohend wurde. »Du willst doch einen Menschen nicht nur deshalb erschießen, weil er spät von der Weide nach Hause kommt? Ich wollte nur nachsehen, wieso hier ein Feuer brennt.«
»Du hättest es bleiben lassen sollen, Sägezahn.« Es klang drohend. »Diesmal hättest du es bleiben lassen sollen.«
»Ich habe es jedenfalls nicht bleiben lassen. Und du vergißt, wer dich gelehrt hat, deinen Revolver zu benützen.«
»Ich habe es nicht vergessen, aber ich habe seither auch sehr oft Gelegenheit gehabt zu üben.«
Der Mann grinste und zeigte dabei die vollkommen gerade Zahnreihe, die ihm seinen Spitznamen eingetragen hatte. Er behauptete, daß seine Zähne früher kreuz und quer gestanden und ihn beim Essen gestört hätten; deshalb hatte er sie mit einer Säge bearbeitet, um zu sehen, ob er dann besser kauen konnte.
Er war Ende vierzig, hager, aber kräftig, und durch das braune Haar zogen sich graue Strähnen. Für Sägezahn waren Rinder, Pferde und Revolver wichtig; in dieser Reihenfolge. Er war Vorarbeiter auf der Bar M und, soweit das möglich war,
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