Stürmisches Herz
Chandos. Sie hatte Chandos gesehen. Aber an diesem Tag war er wirklich ein Indianer gewesen, mit langem, zu Zöpfen geflochtenem Haar, mit Kriegsbemalung, mit Messer. Und er hatte sie töten wollen. Sie erinnerte sich an seine Hand, die an ihren Haaren gerissen hatte, an ihre Angst und an seine Augen, die nicht die Augen eines Indianers waren. Sie hatte nur gewußt, daß die Augen nicht zu dem furchteinflößenden Gesicht paßten, daß sie nichts Entsetzliches an sich hatten.
Jetzt wußte sie, warum sie, als sie den Revolverhelden zum ersten Mal sah, das Gefühl gehabt hatte, sie könnte ihm ihr Leben anvertrauen.
Chandos hatte gesagt, daß damals eine Verbindung zwischen ihnen entstanden war. Was bedeutete das? Was für eine Verbindung? Und warum hatte er damals gemeinsam mit den Indianern angegriffen und gemordet?
Courtneys Tränen versiegten allmählich, als sie sich genauer an diesen Tag erinnerte. Was hatte Berny Bixler Sarah über Rache erklärt? Die Indianer wollten sich für den Überfall auf ihr Lager rächen. Lars Handleys Sohn John, der so rasch aus Rockley verschwunden war, hatte anscheinend damit geprahlt, daß er gemeinsam mit einer Gruppe von Männern eine Bande Kiowas einschließlich der Frauen und Kinder ausgerottet hatte. Sie waren vermutlich Chandos' Freunde gewesen. Bixler hatte behauptet, daß die Indianer erst Ruhe geben würden, wenn sie alle daran beteiligten Männer getötet hatten. Wahrscheinlich waren jetzt alle tot, es sei denn … Trask! War er einer von ihnen? Chandos hatte gesagt, daß er Vergewaltigungen und Morde auf dem Gewissen hatte. Und der Mann in San Antonio? Gehörte er auch dazu?
Wen hatte Chandos bei diesem Massaker verloren, daß er Elroy Bower auf so schreckliche Weise tötete? Daß er nach all dieser Zeit noch nach Rache dürstete?
»Gehören die beiden Gäule Ihnen, Miß?«
Courtney zog erschrocken die Luft ein und stand auf.
Der Mann kam näher, und sie erblickte die alte Nelly sowie den Pinto, dem sie nie einen Namen gegeben hatte, weil sie annahm, daß sie ihn nicht behalten würde. Jetzt hatte ihn Chandos doch nicht mitgenommen.
»Wo haben Sie sie gefunden?« fragte sie unsicher.
»Er ist fort, falls Sie das wissen möchten.«
»Sie haben gesehen, daß er fortgeritten ist?«
»Ja, Madam.«
Warum bekam sie Angst? War es nur deshalb, weil Chandos gesagt hatte, er wolle hier niemanden sehen? Sie hatte keinen Grund mehr, sich seinetwegen Sorgen zu machen.
»Sie kennen ihn vermutlich nicht?« fragte sie trotz allem.
»O doch.«
Sie saß auf den Pinto auf, und ihre Stimmung sank auf den Nullpunkt. Das war einfach großartig – es war genau das, was Chandos vermeiden wollte. Wenn sich daraus Schwierigkeiten ergaben, würde er wahrscheinlich sie dafür verantwortlich machen.
»Arbeiten Sie auf der Bar M?«
»Ja, Madam. Ich heiße Sägezahn – so nennt man mich jedenfalls.«
»Ich bin Courtney Harte. Ich wollte gar nicht zur Farm, sondern würde viel lieber weiter nach Waco reiten und mir dort ein Zimmer nehmen. Es gibt doch Hotels in der Stadt?«
»Ja, Madam, aber es sind noch gut vier Meilen.«
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte sie ungeduldig. »Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich hinbringen könnten.«
Sägezahn schwieg. Er war der letzte, der sich weigerte, einer in Schwierigkeiten geratenen Lady zu helfen. Im Gegenteil, er bemühte sich für gewöhnlich sehr, dem schwächeren Geschlecht hilfreich zur Seite zu stehen. Aber in diesem Fall gab es einfach zu viele offene Fragen. Fletcher würde ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen, wenn er herausbekam, wer die Dame hierher gebracht hatte, und daß Sägezahn sie hatte entwischen lassen.
»Hören Sie, Madam«, redete er ihr zu, »ich komme gerade von der Weide herein. Ich habe seit dem Morgen nichts mehr zwischen den Zähnen gehabt, und Ihnen geht es wahrscheinlich ähnlich. Es ist heute einfach zu spät, um noch in die Stadt zu reiten. Außerdem muß es ja einen Grund geben, warum Sie zur Bar M gekommen sind.«
»Allerdings«, erwiderte Courtney enttäuscht. »Ich soll mich an Margaret Rowley wenden, eine Frau, die ich überhaupt nicht kenne, nur weil er es so haben will. Ich bin doch wirklich kein Kind mehr. Ich brauche keinen Hüter.«
Ein Streichholz flammte auf, und die beiden musterten einander zum ersten Mal. Sägezahn verbrannte sich beinahe die Finger. Er grinste.
»Kommen Sie, ich bringe Sie zu Maggie.«
»Maggie?«
»Margaret. Sie hat ein eigenes Häuschen weiter
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