Stürmisches Paradies
Fußboden auf. Als sie fertig war, reichte er ihr den dampfenden Becher.
»Vielen Dank. Es tut mir leid, ich weiß nicht, wie Ihr heißt.«
»Nate.«
»Freut mich, Euch kennenzulernen. Seid Ihr schon lange auf diesem Schiff?«
»Lange genug.«
»Und Euch gefällt Eure Arbeit?«
»Meistens.«
»Ich sehe, Ihr seid kein Mann vieler Worte.«
Sein Lächeln kam zögernd, und er sagte: »So sehr ich Eure Gesellschaft auch genieße, denke ich doch, Ihr solltet jetzt besser wieder rauf gehen. Nicht alle schlafen. Wenn die Männer sehen, wie Ihr mit mir sprecht, könnten sie falsche Vorstellungen von Euch bekommen, und dann würden sie Euch wahrscheinlich massenhaft umschwärmen.«
Alicia nickte, drehte sich um und murmelte: »Ich bin sicher, meine bloße Anwesenheit würde jeden Mann an Bord in Ohnmacht fallen oder sich mir vor die Füße werfen lassen. Wenn sie nicht aufpassen, dann werden sie in ihrer Betäubung über Bord stolpern und ertrinken.« Sie erkannte am Kichern hinter sich, dass er sie gehört hatte. Grinsend trat sie an Deck.
Der Wind war so sachte, dass er beinahe nicht vorhanden war. Nichtsdestotrotz kostete Alicia das Gefühl von frischer Luft auf ihrem Gesicht aus. Es war ein langer, langweiliger Nachmittag unter Deck gewesen, und sie genoss das Flüstern der Brise, die mit einem salzigen Kuss über ihr Gesicht strich. Das Schiff selbst war ruhig, wofür Alicia dankbar war. Laternen leuchteten entlang der Seiten des Schiffes und spendeten mehr als genug Licht, damit Alicia die Hindernisse sehen konnte, die ihr im Weg lagen. Den Becher fest in der Hand haltend, stieg sie über aufgewickelte Taue, alle Arten verschiedener Leinen und arbeitete sich bis zum Bug vor.
Alicia lehnte sich an die Reling des Schiffes und beobachtete, wie sich das Licht des Halbmondes auf dem dunklen, sich kräuselnden Wasser widerspiegelte. Von der sanften Bewegung wie hypnotisiert, studierte sie das Spiel des Lichtes, sah, wie der Mond mit den Wellen wogte.
» Mädel, du solltest besser ins Bett verschwinden, bevor deine Mutter merkt, dass du nicht da bist, wo du sein solltest.«
»Aber Joe, nur noch eine Minute.«
Alicia keuchte. Sie hatte sich erinnert. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte eine echte Erinnerung gehabt. Bevor sie Jacobs Brief gelesen hatte, hatte sie geglaubt, sie wäre noch niemals auf See gewesen. Jetzt wusste sie es nicht nur besser, sie konnte sich sogar daran erinnern . Aufregung jagte durch sie hindurch, und sie schloss die Augen, wollte noch mehr Erinnerungen erzwingen.
Keine kam.
Eine Hand auf die Augen gepresst, bekämpfte sie ihre Enttäuschung. Es war nicht so schlimm, sagte sie sich. Es war mehr, als sie noch vor ein paar Minuten gehabt hatte. Und hoffentlich würde das Wiedersehen mit Samantha weitere Erinnerungen zurückbringen. Sie atmete zitternd ein und trank einen Schluck Ingwertee.
Sie fühlte sich traurig, setzte den Becher ab und legte sich auf das Deck. Es fühlte sich hart unter ihrem Rücken an, aber das war ihr egal. Sie musste an etwas anderes denken und nicht bloß an die Tatsache, dass ihr so viele Stücke aus ihrer Vergangenheit fehlten.
Durch die Dreiecke der Segel hindurch hatte sie einen ungetrübten Blick auf die Sterne. Der Himmel schien für sie alleine zu glitzern. Sie hatte noch niemals etwas so Schönes gesehen. Die schiere Menge an Sternen war atemberaubend, und bald ließ ihre Traurigkeit nach, und sie konnte die Nacht genießen.
Sie hörte Schritte herannahen und bereitete sich auf eine weitere Runde des verbalen Schlagabtausches vor, der nach dem langen Tag des Eingesperrtseins mehr Reiz auf sie ausübte, als er sollte.
»Was macht Ihr da?«
Sie legte den Kopf in den Nacken. Selbst kopfüber konnte sie Blakes Stirnrunzeln erkennen.
»Ihr seid heute Nacht schon der zweite Mann, der mich das fragt. Ich schaue in die Sterne. Es gibt so viele davon.«
»Auch nicht mehr, als Ihr hättet sehen können, wenn Ihr in Port Royal geblieben wärt.«
»Aber das bin ich nicht, nicht wahr?«
Er rieb sich ein Auge. »Bedauerlicherweise nicht.«
»Habt Ihr es nie versucht?«, fragte sie, als sie sich an die Worte des Kapitäns erinnerte, dass Blake zu ernsthaft sei.
»Flach auf dem Rücken zu liegen und auf etwas zu schauen, was ich ebenso leicht sehen kann, wenn ich stehe?«
»Ja.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Sein genervtes Seufzen ließ sie lächeln.
»Ich kann den Zweck nicht erkennen.«
Sie drehte sich schnell auf den Bauch und stützte sich auf
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