Stürmisches Wiedersehen auf Maynard Manor (German Edition)
aus seinen augenscheinlich höflichen Worten heraus. Zitternd blickte sie ihm nach.
Während der Rückfahrt saß sie stumm neben dem ebenfalls schweigenden Ian, während ihr immer wieder dieselbe Frage durch den Kopf ging: Was soll ich nur tun?
6. KAPITEL
In dieser Nacht schlief Chloé schlecht.
Sie hatte gar nicht erst versucht, das Gespräch mit Ian wieder aufzunehmen. Am Haus ihrer Tante angekommen, hatte sie ihm pflichtbewusst Kaffee angeboten, war jedoch dankbar gewesen, als er abgelehnt hatte und – nach einem kurzen, unbeholfenen Kuss auf den Mund – nach Hause gefahren war.
Tante Libby und Onkel Hal waren in eine Runde Scrabble vertieft gewesen, als sie ihnen Gute Nacht gesagt hatte. Insgeheim war Chloé froh darüber, denn sonst wäre Libby mit ihren Adleraugen sicher nicht entgangen, dass etwas nicht in Ordnung war.
Doch vor sich selbst konnte Chloé diesen Umstand nicht verbergen. Nachdem sie sich eine Weile unruhig im Bett hin und her geworfen hatte, stand sie wieder auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und setzte sich ans Fenster. Es war eine windstille Nacht: Nicht der Hauch einer Brise wehte durch das offene Fenster herein, und der Mond stand groß und golden am dunklen Himmel über den Wiesen. Chloé lehnte sich an die Wand und schloss die Augen.
Sie hatte geglaubt, alles sei schon lange vorbei, und sie hätte die Vergangenheit in einen verborgenen Winkel in ihrem Innern verbannt. Doch nun musste sie sich offenbar erneut mit ihr auseinandersetzen – ein letztes Mal.
Es muss aufhören, dachte sie verzweifelt. Ich kann nicht zulassen, dass mir die Erinnerung an ein bedeutungsloses Ereignis in den Weg kommt und das Leben verhindert, auf das ich die letzten sieben Jahre hingearbeitet habe. Das werde ich nicht zulassen. Ich werde mich mit der Sache befassen und sie für immer aus der Welt schaffen.
Damals war das Wetter genauso heiß und windstill gewesen wie jetzt, fast drückend, als würde ein Gewitter aufziehen.
„Fährst du wieder zum Fluss?“, hatte Tante Libby an jenem Nachmittag vor vielen Jahren gefragt. „Nimm lieber eine Regenjacke mit. Das Wetter wird bald umschlagen.“
„Ach, bis dahin bin ich doch längst wieder da“, hatte Chloé versichert, Sonnenmilch und Handtuch in ihren Rucksack gepackt und war aufgebrochen.
Jetzt, da die Schule aus war und sie nur noch auf ihre Prüfungsergebnisse wartete, wusste sie nicht recht etwas mit sich anzufangen. Ihre besten Freunde, Judy und Sandie, machten zur Feier ihres Schulabschlusses mit ihren Eltern Urlaub im Ausland, und bis zum Beginn ihres Studiums würden noch endlose Wochen vergehen. Ian half bei einer Impfmaßnahme für Rinder in Shropshire aus, und seine regelmäßigen Anrufe konnten nicht über seine Abwesenheit hinwegtrösten.
Libby Jackson zeigte sich von der gramerfüllten Miene ihrer Nichte unbeeindruckt. „Ian ist ein durch und durch anständiger Junge, von dem dein Onkel und ich sehr viel halten. Irgendwann wird er ein guter Tierarzt und auch ein guter Ehemann werden, aber es ist für euch beide noch viel zu früh für eine ernste Beziehung“, sagte sie freundlich, aber direkt. „Du solltest deine Jugend genießen und dich ein halbes Dutzend Mal verlieben. Außerdem gibt es ja noch dein Studium und deine berufliche Laufbahn. Lass dich nicht davon abbringen, auch wenn das gerade sehr verlockend ist.“ Sie fügte hinzu: „Und bitte mach Ian nichts vor, das hat er nicht verdient.“
Chloé hatte keine Ahnung, was der letzte Satz bedeuten sollte. Tante Libby hat gut reden, dachte sie. Sie hat bestimmt vergessen, wie es ist, wenn einem schon die Stimme des Liebsten den Atem verschlägt und das Herz klopfen lässt!
Sie war überglücklich, dass sie bereits jetzt den Mann ihres Lebens gefunden hatte. Und außerdem sollte Tante Libby doch froh sein, dass ihre Nichte ihre häusliche Seite entdeckt hatte und nun die Kunst des Kochens, Putzens und Bügelns erlernte – auch wenn das nicht gerade von Emanzipation zeugte.
Niemand war an ihrer Badestelle zu sehen. Chloé zog sich aus und glitt in ihrem hellrosafarbenen Bikini ins Wasser, das sich angenehm kühl auf ihrer erhitzten Haut anfühlte. Tief in Gedanken schwamm sie langsam zum anderen Ufer und zurück, zog sich aus dem Wasser und auf den Felsen. Dort trocknete sie sich das lange dunkle Haar mit dem Handtuch und wandte das Gesicht zur Sonne.
„Ach, sieh an: Die kleine Chloé scheint ja endlich erwachsen geworden zu sein“, hörte Chloé eine männliche
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