Stürmisches Wiedersehen auf Maynard Manor (German Edition)

Onkel Hal. „Mrs Maynard, Penny, hat Andrew verlassen und sich mit seinem Nichtsnutz von einem Bruder davongemacht. Offenbar hat man sie in den frühen Morgenstunden zusammen in seinem Schlafzimmer erwischt, in eindeutiger Situation“, fügte er angewidert hinzu. „Wie lange das schon so geht, weiß niemand.“
    „Es hat wohl eine heftige Auseinandersetzung gegeben, man hat sich angeschrien, und sie haben sich sogar geprügelt“, fuhr er fort. „Schließlich sagte Sir Gregory Darius, er solle nie wiederkommen. Also hat er Maynard Manor verlassen, zusammen mit ihr. Keiner weiß, wo sie hin sind.“
    In Chloés Ohren begann es zu rauschen. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.
    Wie aus großer Entfernung hörte sie ihre Tante weitersprechen. „Gestern Abend war ja ziemlich offensichtlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Penny und Andrew haben nicht ein einziges Mal zusammen getanzt. Aber in jeder Ehe gibt es mal eine schwierige Phase.“ Sie seufzte traurig. „Dabei waren die beiden doch so ein schönes Paar! Der arme Sir Gregory, ihm geht seine Privatsphäre doch über alles. Und nun wird es sicher eine Scheidung geben.“
    Chloé schluckte. „Wie … wie habt ihr von dieser Sache erfahren?“
    „Mrs Thursgoods Nichte Tracey hat beim Aufräumen nach dem Ball geholfen“, antwortete ihr Onkel. „Und als der Streit anfing, haben die Helfer natürlich alles mitbekommen – besonders, wie Sir Gregory Darius anbrüllte, er besitze wohl nicht einen einzigen Funken Anstand und er werde ihn eigenhändig hinauswerfen, wenn er nicht von selbst gehen würde. Kurz danach stiegen Darius und Penny mit ihrem Gepäck in seinen Wagen und fuhren davon. Tja, er war ja immer das schwarze Schaf der Familie, mit seinen ganzen Frauengeschichten und den anderen Eskapaden. Bestimmt sind einige nicht unglücklich darüber, dass er weg ist.“
    Dem konnte Chloé nicht widersprechen. Denn Darius hatte versucht, sie zu verführen, obwohl er eine Beziehung mit einer anderen Frau hatte, wenn auch eine geheime. Aber warum nur? fragte sie sich und verspürt heftige Übelkeit, als sie sich ihn und Penny beim Liebesspiel in dem Bett vorstellte, auf dem er sie selbst wenige Stunden zuvor liebkost hatte. Wahrscheinlich sollte ich froh sein, dass er sich so abrupt von mir abgewandt hat, als ich ihm erzählt habe, dass ich noch Jungfrau bin. Vielleicht besitzt er ja doch noch einen Funken Anstand.
    Meine wunderschöne, strahlende Chloé … bei der Erinnerung an Darius’ Worte wurde ihr kalt, denn sie hatten nichts bedeutet und waren nur Mittel zum Zweck gewesen. Und sie, Chloé, nur ein Zeitvertreib.
    „Zeit fürs Mittagessen.“ Libby Jackson stellte Salat auf den Tisch und schnitt eine Quiche an.
    Chloé setzte sich, zwang sich zum Essen und musste die weiteren Mutmaßungen mit anhören.
    „Penny Maynard muss von allen guten Geistern verlassen worden sein“, hatte ihre Tante gesagt. „Wieso kann sie mit einem anständigen Mann wie Andrew nicht glücklich sein? Und was für ein Leben erhofft sie sich mit diesem zweifelhaften Kerl?“
    Aber sie war nicht glücklich, hatte Chloé gedacht. Das musste doch jeder gemerkt haben!
    „Vielleicht war es für sie nur eine flüchtige Affäre“, hatte Onkel Hal geantwortet. „Tja, wir können es sowieso nicht ändern.“
    Ob das immer noch zutrifft? überlegte Chloé, als sie nun von ihrem Platz am Fenster aufstand. Warum war Penny nicht mit Darius zusammen auf Maynard Manor? War zwischen den beiden alles aus, oder hatte Sir Gregory lediglich seinem direkten Blutsverwandten verziehen?
    Das ist doch alles gleichgültig, rief Chloé sich in Erinnerung, während sie sich die Tränen trocknete und sich wieder hinlegte. Das ist lange her, und wir sind alle andere Menschen geworden. Ich weiß, wie meine Zukunft aussehen wird und mit wem ich sie verbringen werde. Darius geht es sicher genauso, und wenn er sich tatsächlich für Lindsay Watson entscheidet, wird er bestimmt die Zustimmung seines Vaters bekommen.
    Erst nach einer Weile konnte Chloé einschlafen, und dann wurde sie von Träumen gequält, wie sie ihr lange Zeit erspart geblieben waren. In diesen Träumen wurde sie, mit seidenen Seilen gefesselt, von einem Mann mit Händen und Mund aufs Sinnlichste verwöhnt. Beim Aufwachen war sie von heftiger, fast unerträglicher Sehnsucht erfüllt. Warum die Worte „meine wunderschöne, strahlende Chloé“ noch immer in ihr nachhallten, darüber wollte sie lieber nicht zu viel