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Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Stein
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ist da bloß noch ein dumpfes Pochen. Das bisschen Blut im Höschen zählt nicht. Das andere, nicht Fassbare, ist schlimmer. Ich öffne das Fenster, lasse die Abendluft hinein. Es ist kälter geworden. Ich strecke die Finger hinaus in die Nacht, als wären sie Fühler. Gerne würde ich wissen, ob er in der Nähe ist.
    Es wären welche abgeholt worden in der Stadt, sagte Vater eben beim Essen, und sofort schossen mir Tränen in die Augen.
    »Und das sagst du mir jetzt erst!?«
    Vaters Blick war flehend, er weiß nicht, ob Jakob und seine Familie dabei waren.
    Das Scharren im Zimmer, mein Herz steht still. Natürlich tue ich nichts Verbotenes, kann nichts dafür, dass ich das Tagebuch gefunden habe. Doch ich darf nichts Eigenes haben. Bloß zweimal am Tag alleine im Badezimmer sein.
    Das Scharren kündigt seine Unruhe an, geht jedes Mal dem Klopfen an der Tür voraus. Gleich wird er sagen: Die Zeit ist um.
    Ich versuche, langsam und konzentriert zu atmen. Lege das Tagebuch ins Versteck, schiebe die Kachel darüber.
    Versuche, sie mit den Fingernägeln in die richtige Position zu bringen, doch schon klopft er an der Tür.
    »Anna!«
    »Ja«, sag ich. »Moment.«
    Noch immer sieht man einen Spalt in der Wand. Die kleinen Kratzgeräusche, während ich die Kachel zurechtrücke, ich höre ihn atmen vor der Tür.
    Als er sie öffnet, sieht er mich nur kauern. Er greift meinen Arm, zieht mich hoch. An meinen Fingern haften noch die Spuren vom Betonstaub, ich zerbrösele sie mit den Kuppen.
    Zurück auf dem Bett, kneift er mir in die Wange und kann sich nicht entscheiden, ob die Geste liebevoll oder mahnend gemeint sein soll, deswegen tut es ein wenig weh.
    »Was machst du da immer so lange?«
    Ich schaue durch ihn hindurch, gehe meinen eigenen Gedanken nach. Das Buch muss von jemandem sein, der in diesem Haus lebte. Ida. Was war mit ihr geschehen? War sie im Krieg umgekommen? Wann hatten die Deportationen in Deutschland begonnen? 1941 oder bereits in den Jahren zuvor?
    Ich betrachte Natan: Er sitzt vor der Glotze, die Fernbedienung missmutig in der Hand haltend. Stunden kann er mit dem Umherzappen verbringen. Keinen Sender lässt er länger als fünf Sekunden stehen, nichts kann ihn zufrieden stellen. Wie krankhaft das ist. Schnappschüsse lässt er an sich vorüberziehen, auf nichts vermag er sich zu konzentrieren.
    »Wem gehörte eigentlich dieses Haus?«
    Sein Blick, etwas anderes als Misstrauen kennt er nicht.
    »Wieso willst du das wissen?«
    »Du wolltest dich doch mit mir unterhalten.«
    Das Einzige, womit er sich gerne beschäftigt, bin ich. Das Streichen über meine Wange, wieder und wieder. Das Kämmen meiner Haare, die sind ganz trocken, sagte er, er würde was besorgen, was sie weich macht.
    »Kauf lieber ’ne neue Klobürste«, hatte ich gesagt. »Die alte sieht aus, als hätte sie schon 20 Jahre auf dem Buckel.«
    Sein Lachen, es ist genau diese Art von Unterhaltung, die er sich wünscht. Etwas Normales. Etwas Alltägliches. Das ich ihm zu geben versuche, damit er stabil bleibt. Damit er nicht ausrastet.
    »Meiner Großmutter«, antwortet er schließlich in die Stille, und zunächst begreife ich gar nicht, was er meint. Dann dämmert es mir: Er hat auf meine Frage reagiert, die ich vor Minuten gestellt habe. Das Haus – es gehörte seiner Großmutter.
    Wer weiß, wie er die Zeit empfindet. Ob sich ein paar Minuten für ihn wie eine anfühlen. Oder ob fünf Sekunden für ihn wie eine Minute sind.
    »Kommt die denn nicht hierher?«
    Eine Tiersendung, ein Koch mit gezwirbeltem Bart, die Nachrichten. Bilder ziehen vorüber, nur eines haben sie gemein: Flimmernden Schnee, der über den Bildschirm huscht, der Empfang ist schlecht.
    Ich warte ab. Möchte ihm Zeit lassen, vielleicht fängt er ja von selbst an zu reden. Doch ich weiß: Es kann ewig so weitergehen, bis ihm einfällt, wie er sich wieder mit mir beschäftigen könnte.
    »Und das Haus gehört jetzt dir?«
    Sein eisiger, starrer Blick. Mit einem Ruck schaltet er die Glotze aus, starrt zu mir herüber.
    »Ist das ein Verhör, oder was?«
    »Nein. Ich versuche nur, mit dir zu reden.«
    Stille, bis auf die Vögel, bis auf den Sommer, der vor dem Fenster lacht.
    »Du fragst dich, ob sie hier auftauchen könnte. Ob sie dich retten könnte. Kannste vergessen. Die Alte ist tot, längst verscharrt!«
    »Wie war sie denn so?«
    Er grinst und steht auf, als hätte er eine spontane Idee.
    »Machen wir es doch so, Anna. Für jede Antwort von mir bekomme ich einen

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