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Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Stein
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aus Papa, was aus mir? Heinrich, der wird ja doch keine Ruhe geben, bis er glaubt, dass ich Jakob vergessen habe.
    Ich weiß nicht weiter, nicht weiter! Wie Jakob hier in meinem Bett lag. Seine Brust ist glatt, erst am Bauchnabel, da wachsen ein paar Haare.
    Es war anders, so anders. Erst schämte ich mich, natürlich. Ich schämte mich so. Aber was er mir dann alles sagte. Und er hatte solche Angst, dachte an seine Familie. Ich wollte ihn vergessen lassen.
    Den Brief an Eva halte ich als kleine Schnipsel in der Hand.
    Nichts macht mehr Sinn, ich werde nicht fortgehen können.
    7. November 1941
    Als der Tag zur Neige ging, füllte sich unser Haus. Zuerst mit Herrn Klaus, er hatte ruhig gegen die Tür geklopft, sein Bart war dicht wie immer, seine Gestalt in der Dämmerung gedrungen. Sein Körper wirkt immer zusammengestaucht, fast so, als hätte er keinen Hals.
    »Ida!«, rief er. »Willst du wirklich nicht mehr in die Schule kommen?«
    Ich kochte uns Tee, er sah nicht, dass ich heulte. Natürlich will ich Abitur machen, natürlich will ich studieren. Das wollte ich immer, immer!
    Herr Klaus weiß das. Er setzte sich immer für mich ein; Mädchen sind an der Oberschule nicht gerne gesehen, können ja doch nichts außer der Hausarbeit. Umso weniger versteht er jetzt meinen Sinneswandel.
    »Ida, es ist bloß noch ein gutes halbes Jahr, dann sind schon Prüfungen.«
    Mein Blick glitt aus dem Fenster, die Nacht war schwarz geworden. Ich lauschte und hörte ihre Motorräder.
    »Sie kommen.«
    Vater stand mit einem Ruck auf, Herr Klaus sah zwischen uns hin und her.
    »Wer kommt?«
    Die Motorengeräusche waren jetzt deutlich zu hören.
    Ich staunte, als Papa herauslief und mit einer Schrotflinte zurückkam.
    »Himmel, was ist hier los?«, rief Herr Klaus, und ich wünschte, ich hätte ihn beruhigen können.
    »Ida, nach oben!«
    Ich blieb, wo ich war. Und schon scharrten sie an der Tür. Immerhin: Sie klopften. Und ich weiß nicht, wovor ich größere Angst hatte: Sie wieder zu sehen oder davor, dass sie nicht alleine gekommen waren.
    Doch es waren bloß Heinrich und Arnold. Wie arrogant sie daherkamen. Aber sie stockten, als sie Herrn Klaus sahen. Das Abzeichen der HJ war um ihren Arm gebunden.
    »Heinrich! Arnold! Was ist hier los?«, verlangte Herr Klaus zu wissen.
    In der Küche war es plötzlich still geworden, Vater hielt immer noch die Flinte in der Hand.
    »Warum setzen wir uns nicht alle«, schlug ich vor und spürte, dass sich etwas verändert hatte. Arnold – wie er da saß, ich erschrak nicht mehr vor seinem Schnurrbart, seinen hässlichen, dünnen Lippen. Jetzt weiß ich, dass es auch anders sein kann. Das sind bloß Hosenscheißer, dachte ich mir. Die sich ins Hemd machen, weil plötzlich ein Lehrer mit ihnen am Tisch sitzt.
    »Heinrich und Arnold sind auf der Suche nach Jakob«, erklärte ich Herrn Klaus.
    »Mein Gott.«
    »Sie glauben, dass wir Jakob versteckt halten, weil ich ihn mochte . Stimmt’s, Heinrich?«
    Seine blauen Augen starrten mich eisig an.
    Warum suchst du dir nicht irgendein nettes Mädchen?, dachte ich. Eines mit langen Zöpfen, es gibt doch genug, die blond sind wie ich, Heinrich.
    Keiner sagte ein Wort. Keiner von diesen großen, tapferen Männern!
    Ich stand auf, knallte zwei weitere Teetassen auf den Tisch. »Wollt ihr Tee?«, zischte ich.
    Sie sollten mir glauben. Ich kann das doch, diese Rolle spielen. Glauben sie mir, kommen sie nicht mehr wieder. War es das letzte Mal, dass sie da waren.
    Heinrich liebt mich, das weiß ich. Allein aus dem Grund durchsuchte noch kein anderer unser Haus.
    Endlich hatte ich sie so weit. Endlich schlugen sie die Augen nieder.
    »Der Jude ist nicht hier. Wann wollt ihr das endlich glauben. Wann lasst ihr uns endlich in Ruhe?«
    Herr Klaus hatte sich noch immer nicht beruhigt, strafte mit seinem Blick die Schüler.
    »Ich kann nicht glauben, dass ihr Ida so behandelt. Seid ihr etwa der Grund, warum sie nicht mehr in die Schule kommt?«
    »Aber wir haben sie gesehen«, presste Arnold heraus. »Heimlich getroffen hat sie sich mit dem Jud!«
    »Na und? Ich wollte mich von ihm verabschieden, verstehst du? Verabschieden ! So wie du von deiner Schwester , Arnold! Deiner taubstummen, zurückgebliebenen Schwester ! Sag, wie war das, als sie ins Heim gebracht wurde? Wie war das für deine Mutter?«
    Arnold war vom Tisch aufgesprungen, machte mit erhobener Faust einen Satz auf mich zu, doch noch während der Bewegung hielt er inne, fuhr sich nervös durch die

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