Stumme Angst (German Edition)
Haare und griff nach seinem lächerlichen Schnurrbart.
»Jetzt beruhigen wir uns alle«, dröhnte Herr Klaus und hob beschwichtigend die Hände.
»Und du, Ida, kommst am Montag wieder in die Schule. Ist das klar?«
Sie verschwanden mit hängenden Köpfen. Doch ich weiß nicht, ob das reicht. Ob sie nicht doch wieder einen Grund finden werden, mich anzufassen.
»Das darf nicht wahr sein«, sagte Herr Klaus, nachdem sie gegangen waren, sein Gesicht wirkte noch immer bleich.
Ich betrachtete ihn, wie sehr ich ihn mag. Manchmal tätschelt er mir im Klassenzimmer die Schulter, lächelt mir aufmunternd zu. Auch mit Vater versteht er sich gut. Er hat seine Frau verloren, genau wie Papa. Manchmal kommt er zu ihm in die Bibliothek und leiht sich die neusten Bücher aus.
Herr Klaus lebt ähnlich wie wir. Sein Haus ist zwar nicht so abgelegen wie unseres, doch von einem dichten Garten umschlossen. Herr Klaus hat keine Kinder, aber einen Keller, in dem er Jakob verstecken könnte. Wer würde ihn dort schon vermuten – mein Lehrer ist angesehen und seit Kurzem in die Partei eingetreten, so wie Papa, weil ihm ja doch nichts anderes übrig bleibt.
»Herr Klaus«, sagte ich entschlossen. »Jakob ist da draußen.«
»Was?!?«
»Er versteckt sich in den Wäldern.«
»Was soll das, Ida! Du kannst doch Herrn Klaus nicht mit da reinziehen.«
Die Hände meines Lehrers lagen ruhig auf dem Tisch. Schlanke Finger sind es, die nicht zum Rest seines klobigen Körpers passen mögen. Die Hände eines Akademikers, der nie hart arbeiten musste.
»Schon gut, Herr Steiner. Schon gut. Wir sind unter uns.«
Wieder kam Jakob in der Nacht, er brauchte etwas zu essen.
Vater stand auf, schnitt Brot. Schmierte eine ordentliche Schicht Butter darauf, belegte es mit Schinken. Seine Hände zitterten.
»Du kannst hier nicht bleiben, Junge. Du gehst zu Herrn Klaus.«
Er sagte das mit einer Bestimmtheit, als wäre es seine Idee gewesen.
»Am besten noch heute Nacht, Herr Klaus weiß Bescheid, du sollst kleine Steinchen an sein Schlafzimmerfenster werfen. Es ist das untere rechte. Auf der Rückseite.«
»Papa!«, wandte ich ein. »Er kann kaum noch die Augen offen halten und er zittert vor Kälte. Lassen wir ihn bis morgen hier.«
Er musste unten auf dem Sofa schlafen, Vater brachte ihm Decken, ein frisches Hemd und Hosen, Strümpfe und einen Pullover.
»Ida«, sagte er zu mir im Flur. »Ida, du darfst nicht schwanger werden.«
Draußen beginnt es zu dämmern.
Natans Schritte im Zimmer. Sein Pfeifen – gut gelaunt scheint er zu sein, er schaltet den Fernseher ein.
Das Buch liegt noch immer in meiner Hand. In der anderen die Kachel: zwei Möglichkeiten, mit denen ich es versuchen kann.
Und wenn er das Tagebuch seiner Großmutter liest? Könnte das etwas ändern? Würde er nicht verstehen, was das für ein Mädchen bedeuten kann? Und das Messer, das Messer. Dagegen hab ich doch keine Chance.
Sein Klopfen, sein Scharren, die Stimme: »Bist du fertig, Anna?«
Der Schlüssel, der sich dreht, ich lege die Kachel behutsam zur Seite.
»Schau mal, was ich gefunden habe«, sage ich, als er öffnet.
Mittwoch, Tag 6, Liam
E r wacht mit Schmerzen auf. Kopfschmerzen, die bis in den Nacken ziehen. Die Sonne tastet durch die Spalten der Jalousie, wirft kleine, lang gezogene Punkte an die Wand. Liam streckt die Hand nach ihnen aus, will etwas berühren, das man nicht berühren kann.
Kapitän spürt, dass er wach ist, und leckt seine andere Hand, die seitlich aus dem Bett hängt.
Monsterhund, denkt Liam. Hat über Nacht schon wieder seine Augenklappe verloren.
Das Viech legt sich auf den Rücken, streckt ihm die Pfote entgegen. Also gut. Eine Runde Pfote-Hand-Halten. Solange er dabei den Kopf ruhig halten kann. Die Hitze presst sich wie ein nasser Waschlappen auf seine Haut.
Er hatte mit Rebecca ein paar Bier getrunken, gestern am Fluss. In einer dieser Strandkneipen, wie es sie jetzt überall gibt. In den Sommermonaten kippen sie weißen Sand neben das Wasser, bauen Stege, stellen Liegestühle und Sonnenschirme auf. Man kann Cocktails trinken und Musik aus den Lautsprechern lauschen.
»Die Felder gefallen mir besser«, sagte er zu Rebecca. »Dort ist es ruhig und die Enten sind mir lieber. Warum wollen die Leute aus dem Fluss das Meer machen?«
»Ja. Und wenn sie das im Herbst alles wegbaggern. Den Sand in Lastwagen schaufeln. Das hat so was Endgültiges. Dann weiß man, dass der Sommer vorbei ist.«
Als er mit Rebecca im Strandkorb saß, die
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