Stumme Angst (German Edition)
Beine nach vorne ausgestreckt, kam er sich wie ein altes Ehepaar vor.
Doch eigentlich war es ihm recht gewesen, so albern das auch aussah. Man konnte darin heulen, ohne gesehen zu werden.
Und Rebecca ging anders damit um als Marie. Sie übertrieb es nicht. Sie sagte nicht Komm , hielt den Körperkontakt gering. Man brauchte ihn nicht gut zu kennen, um zu wissen, dass er nicht ständig angetatscht werden wollte.
Stattdessen fragte sie: »Willst du noch ein Bier?«
Sie rauchten zusammen, starrten hinaus in die Nacht. Die Lichter der Stadt spiegelten sich auf dem Wasser, bildeten verzerrte Abbilder einer Welt, die auf dem Kopf steht.
Er fragte sie gleich, ob ihr jemand einfiel, der sich Anna gegenüber komisch verhalten hätte. Der ihr nachgestellt hätte. Ein Verehrer, was weiß denn er.
Sie dachte nach, schüttelte dann aber den Kopf.
»Nein. Soweit ich weiß, nicht. Aber ein Mädchen wie Anna. Die so hübsch ist.«
Er zeigte ihr die Liste. Sie kannte Torben, sie kannte Andreas. Der wäre ihr unsympathisch gewesen, sagte sie. Ein Jurist eben, sie lachte.
»Der wirkte verbissen. Außerdem, ich meine, wie kann man sich nur mit Jura herumquälen.«
Er lachte ein wenig. Ihre Zigaretten bildeten kleine rote Punkte in der Nacht.
»Und Torben?«
»Der war süß. Ganz anders. Ein Lebemann. Hat längeres, ausgefranstes Haar, ist immer gut drauf. Nicht so verklemmt wie Andreas, der immer im Hemd und Pullöverchen daherkam. Du weißt schon. So über die Schultern gelegt. Ich hab mich immer drüber gewundert, weil so einer normalerweise nicht Annas Typ ist.«
»Und ich? Ob ich ihr Typ bin, meine ich …«
»Mensch, Liam. Das weißt du doch ganz genau. Stop fishing for compliments.«
»Ich habe mit Torben telefoniert. Wegen der Liste. Möchte mit jedem sprechen, der darauf steht.«
»Und? Wie hat er reagiert?«
»Geschockt. Kam mir ein bisschen so vor, als wären da noch Gefühle. Hat Anna mit ihm Schluss gemacht?«
»Ja.« Sie zögerte. »Ich glaub schon.«
»Weißt du, wieso?«
»Vielleicht.«
»Komm schon.«
»Er war einfach nicht der Richtige. Die Beziehung war ihr zu freundschaftlich.«
»Ist auch egal. Ich werd ihn morgen selbst fragen.«
Er hatte mit Torben einen Termin ausgemacht, in einem Café um die Ecke. Doch erst muss er etwas gegen diese Kopfschmerzen tun. Langsam rappelt er sich auf, irgendwo hat er doch eine Schachtel Aspirin. Er tapst zum Schreibtisch, wühlt sich durch die Unordnung darauf. Hier, unter einem Stapel Papier. Er fingert zwei Tabletten aus der Schachtel, spült sie mit einem abgestandenen Glas Wasser runter.
Missmutig fällt sein Blick auf die Unterlagen, die er aus dem Büro mitgebracht hat. Verschiedene Personen warten noch auf Rückmeldung wegen der bevorstehenden Reise nach Tuvalu: der Bürgermeister von Vaiaku, eine Familie, die sie vor Ort interviewen wollen. Liam hat in den letzten drei Wochen einen groben Ablauf zusammengestellt, Weiteres würde sich vor Ort ergeben. Doch nun sah es so aus, als würde Felix alles übernehmen. Die Lorbeeren einsammeln. Auch wenn er bislang bei dem Projekt nur am Rande involviert gewesen war.
Gestern Abend noch hatte ihn Jens, sein zuständiger Redakteur, angerufen. Ihn gebeten, zu Hause zu bleiben, bis das mit Anna geklärt wäre. »Nimm dir Zeit«, sagte er. »So hast du den Kopf nicht frei, Liam. Du musst das klären.«
Das klären . Als könnte er irgendwas daran ändern, dass Anna verschwunden war. Dass Felix versuchte, ihn zu beruhigen, hatte auch nichts gebracht.
»Du kannst immer noch mit nach Tuvalu«, meinte er. »Der Flug geht erst in einer Woche. Sei doch froh, dass du die ganze Vorarbeit nicht machen musst. Ist ohnehin nur administratives Zeug.«
Administratives Zeug, klar. Aber er weiß: Je mehr man recherchiert, desto mehr Ideen kann man vor Ort einbringen.
Am meisten ärgert ihn, dass Jens recht hat. Natürlich bringt es nichts, wenn er jetzt weiterarbeitet. Er muss sich mit Torben treffen, die anderen von der Liste abtelefonieren. Dennoch – es fällt ihm schwer loszulassen. Wer bekommt schon die Chance, ein Volontariat bei diesem Sender zu machen? Einer von hundert. Zumindest ist das die Zahl, die Jens ihm genannt hat. Und übernommen werden nur die, die außergewöhnlich gute Ideen einbringen. Falls der Betriebsrat zustimmt. Der Rest kann nach zwei Jahren die Koffer packen.
Und wenn schon. Als ob Anna nicht wichtiger wäre. Dass er trotz allem noch an seinen Job denkt! Wozu eigentlich? Er würde auch woanders
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