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Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Stein
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hat ihnen Sand vom Fluss geholt und in einen Kasten gefüllt. Seitdem beschäftigen sich die Kleinen dort stundenlang: Spielen Kochen mit alten Töpfen, backen Sandkuchen mit Wasser.
    Ich sah ihn dort stehen, durch das Küchenfenster hindurch. Friedrich hielt er schon auf dem Arm, Oskar musterte ihn wie einen Fremden.
    Ich wusste, dass Jakob auf der anderen Seite des Hauses war, Holz hacken. Ob er gesehen hatte, dass Heinrich gekommen war?
    Wie ich ihm begegnen sollte, wusste ich nicht.
    Wie soll man sich auch darauf vorbereiten, wenn man nicht weiß, ob der Ehemann noch lebt oder nicht? Ohnehin war alles entschieden. Jakob und ich wollen auswandern nach Amerika.
    In New York hat er Verwandte, sagt Jakob. Die würden ihm helfen, Arbeit zu finden. Wovon sollen wir in diesem Dorf auch leben?
    Ich trat hinaus in die Nachmittagssonne, und Heinrich schaute mich an, wie er es immer getan hat. Ruhig setzte er Friedrich zurück in den Sandkasten und ging ein paar Schritte auf mich zu.
    Schmal sah er aus, das Gesicht ausgemergelt und faltig wie das eines alten Mannes. Er wirkte, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten.
    »Ida«, sagte er leise.
    Dann wanderte sein Blick hinter mich, und ich wusste: Jakob stand in der Tür.
    Es wunderte mich, dass Heinrich so wenig erstaunt war. Dass er keine Empörung zeigte, sondern den Blick senkte; fast so, als würde er sich ein wenig schämen.
    »Grüß dich, Jakob«, brachte er hervor.
    Verwirrt warfen Jakob und ich uns einen Blick zu. Jakob hielt irgendetwas in der Hand, erst nach ein paar Augenblicken verstand ich, dass es die Axt war.
    Es waren die Kinder, die sprachen. Die auf ihre unbeholfene Weise mehr zu sagen wussten als die Erwachsenen.
    »Darf ich reinkommen?«, wollte Heinrich irgendwann wissen. »Ich sterbe vor Hunger.«
    »Besser nicht.«
    »Dann zum Reden. Zum Reden darf ich doch reinkommen?«
    Wortlos schüttelte ich den Kopf.
    Erst jetzt ließ er sein Gepäck fallen. War er vom Bahnhof direkt hierhergekommen? Zu Fuß den weiten Weg durch die Felder?
    »Du willst nicht mit mir sprechen …?«, schloss er – es klang eher nach einer ungläubigen Frage als nach einer Feststellung.
    »Ich bin jetzt mit Jakob zusammen, Heinrich. Es ist vorbei. Zu sagen gibt es nichts mehr.«
    »Zu sagen gibt es nichts? Bei den zwei Kindern, die wir haben?«
    »Die Kinder bleiben bei mir.«
    Was ich Jakob nicht gestehen kann: Heinrich tat mir ein wenig leid. Er war so mager geworden. Die Jahre hatten ihn verändert, ihn begreifen lassen. Und zuletzt waren wir uns nähergekommen. Zumindest ein wenig, bei seinem letzten Heimaturlaub. Als er mir all das vom Krieg erzählte, als er endlich aufhörte, den starken, arischen Mann zu spielen. Da hörte ich auf, ihn zu hassen. Und als unsere Väter gestorben sind – erst meiner, dann seiner. Da rückt man ein wenig zusammen.
    Was er wollte, war Friedrich.
    »Gib mir den Bub. Denn der Oskar – der ist ja eh nicht von mir.«
    Langsam ging ich das letzte Stück auf ihn zu. Löste mich aus dem Schatten des Hauses, bis ich dicht vor ihm stand. Er hatte eine Wunde auf der rechten Wange. Sie sah verheilt aus, doch sie zeichnete sein Gesicht traurig.
    Konnte es wirklich sein, dass er es die ganze Zeit über gewusst hatte? Aber schwer zu erkennen war es eigentlich nie gewesen. Oskar mit seinen dunkelbraunen Haaren war Jakob wie aus dem Gesicht geschnitten. Dagegen stach Friedrich, der helle Bub mit seinen blonden Eltern, deutlich hervor.
    »Heinrich, die Knaben kann man nicht trennen. Das musst du verstehen.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Ich hab sonst nichts«, sagte er und weinte, blickte hinauf in die Tannen. »Außerdem glaub ich nicht, dass du mit dem glücklicher wirst.«
    Er rief Friedrich, den Kleinen. Der quietschvergnügt angerannt kam und sich auf den Arm nehmen ließ. Ich versuchte noch, ihn wegzuschnappen. Doch Heinrich war schneller.
    Danach weiß ich nicht so recht, was geschah. Ich drehte mich um zu Jakob: Er setzte sich in Bewegung, wie Heinrich. Dachte er wirklich, dass er mit dem Kind einfach so fortgehen konnte?
    Sein Gepäck hatte er liegen lassen. Nur das Kind, das hielt er im Arm.
    »Heinrich!«, rief ich noch. »Lass den Unsinn!«
    Doch er war schon hinter dem Haus verschwunden, genau wie Jakob.
    Warum ich stehen blieb? Ich weiß es nicht. Ob ich es hätte verhindern können? Hätte ich das überhaupt gewollt?
    Ich ahnte, er würde alles daransetzen, mir den Jungen wegzunehmen. Mit wem würde er wiederkommen? Severin und

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