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Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Stein
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Siedlung sind gepflegt, Blumenkübel stehen an den Eingängen, hier und da zur Zierde eine Bank, ein Wagenrad, vielleicht ein Vogelhäuschen. Man möchte zeigen, was man hat. Dass man Ordnung halten kann, selbst draußen. Dass man den Haushalt im Griff hat. Anders sieht es vor Natans Haus aus: Ein einzelner Gartenzwerg wacht hier, die Hand zum Gruß erhoben. Der Rest ist verwildert: Grasbüschel zwängen sich zwischen vertrocknete Sträucher, die als Gerippe in die Luft ragen.
    Das Türschild aus Metall: Mayer steht dort in geschwungener Schrift.
    Natans Begrüßung ist freundlich, sein Händedruck warm. Der Hund springt an ihm hoch wie an einem alten Freund, was Liam wundert, ihn stutzig macht, denn bei Fremden lässt sich das Viech normalerweise keine Gefühlsregung anmerken.
    »Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich den Hund mitgebracht habe?«
    »Ja ja«, meint Natan, krault Kapitän hinter den Ohren.
    »Wollte eigentlich selbst immer einen haben.«
    Natan führt ihn durch den Flur: ein kleiner Tunnel, in dem sich Umzugskartons stapeln.
    »Tut mir leid, das Chaos. Aber ich löse gerade den Haushalt auf. Will was Neues anfangen.«
    Liam setzt sich auf die Küchenbank: Eiche rustikal, der Bezug ist verschlissen.
    Kann ich verstehen, würde er am liebsten sagen. Dass du was Neues anfangen willst. Das hier ist ja die Hölle.Er weiß nicht, was er schrecklicher finden soll: die braunen Kacheln an der Wand, die gehäkelten Topflappen, die Gewürzdosen, die aussehen, als würden sie kleben. Als läge eine jahrzehntealte, dicke Fettschicht auf ihnen.
    »Das ist dein Haus …?«
    Natan nickt, schenkt Wasser ein.
    »Hat meinen Eltern gehört. Sind vor ein paar Jahren gestorben.«
    »Tut mir leid.«
    »Schon okay. Eine Weile lang war’s halt schwierig, sich von dem ganzen Zeug zu trennen. Aber jetzt schmeiß ich alles weg. Falls du also was brauchst: ’nen Topf oder ’ne Joghurtmaschine – nur zu …«
    Ein Hinweis wäre nicht schlecht. Wo Anna sein könnte.
    Doch er ringt sich ein Grinsen ab. Joghurtmaschine. Wer kauft sich so einen Schrott.
    Natans Gesicht beherrschen die Augen. Grün sind sie oder doch blau? Und irgendwas hat er da an der Lippe. Herpes? Prügelei? Kratzspur?
    Herpes, entschließt sich Liam. Der verkrustet immer so hässlich.
    Dass Natan Waise ist, überrascht ihn. Ob das allein ausreichte, um für Anna interessant gewesen zu sein? Vielleicht lebten seine Eltern aber noch, damals, als das mit Anna war. Und Natan hatte eine eigene Wohnung. Anna wäre aus diesem Haus doch schreiend davongelaufen.
    »Und was genau hast du jetzt vor?«
    »Mit dem Haus? Verkaufen. Und danach: nach Berlin ziehen. Vielleicht versuch ich’s an der Kunsthochschule.«
    Auf Anna kommen sie erst spät zu sprechen. Erst, als das Wasser in ihren Gläsern zu kondensieren beginnt, sich kleine Tropfen an der Außenwand bilden.
    »Was willst du denn wissen?«, fragt Natan. »Wegen Anna?«
    »Hat sie dir mal was erzählt? Vielleicht von einem, der ihr zu nahe getreten ist?«
    Natan dreht den Kopf in Richtung Fenster. Seine eine Hand umfasst das Glas: Das Kondenswasser verschmiert, seine Finger werden feucht.
    Kratzspuren hat er dort, auf den Händen. Und eine im Gesicht, neben dem rechten Auge, sie fällt Liam auf, als Natan den Kopf ins Profil dreht.
    Gartenarbeit, kommt ihm in den Sinn. Oder Natan hat eine Katze. Obwohl Kapitän die längst gewittert hätte.
    Natan fällt nichts zu seiner Frage ein. Stattdessen versucht er zu lächeln, worüber soll man auch reden, wenn man nach zehn Minuten bereits alles gesagt hat?
    »Kann ich gerade mal das Klo benutzen …?«
    »Klar!« Natan springt auf, scheint froh über die Abwechslung zu sein.
    »Hier vorn an der Tür. Gleich neben den ganzen Kisten.«
    Der kleine Raum riecht muffig wie der Rest des Hauses: wie ein Ort, an dem lange nicht geatmet wurde. Im Waschbecken: Verkrustete Seifenreste, selbst die Toilettenschüssel hat Ringe angesetzt.
    Wenn er das Haus ausräumt, kommt es Liam in den Sinn, müsste er das Klo eigentlich öfter benutzen.
    Den Toilettendeckel verziert ein pinkfarbener Überzug. Der passende Teppich dazu ist abgetreten, starrt an den Rändern vor Schmutz.
    Diesen Plüschscheiß würde er als Erstes wegschmeißen. Mülltonne auf, Plüsch rein, Mülltonne zu.
    Für einen Moment legt Liam den Kopf in die Hände. Das Haus ist still – was fehlt, ist ein Radio, vielleicht ein Lachen. Oder Klopfgeräusche, die aus dem Keller zu ihm hinaufdringen. Ich bin hier, könnte sie

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