Stumme Angst (German Edition)
ihm signalisieren. Hier in diesem Haus.
Oh Mann, was hatte er eigentlich erwartet? Muss jemand verdächtig sein, nur weil er sich mit diesem ganzen alten Schrott umgibt? Außerdem will er das alles ja loswerden. Bietet ihm sogar ’ne Joghurtmaschine an. Und zuletzt mag ihn der Hund. Und die haben bekanntlich einen guten Instinkt.
In die Küche kehrt er nur kurz zurück. Murmelt ein »Ich geh dann mal«, weil ihm nichts weiter einfällt, weil er Natan beim Ausmisten nicht aufhalten will. Aber seine Hände, die fallen ihm wieder auf.
»Hast du dich bei der Gartenarbeit geschnitten …?«
Natans Blick, verwirrt. Doch irgendwann sieht er an sich herunter und nickt.
»Der Garten hinter dem Haus. Noch mehr Arbeit …«, erklärt er und bückt sich ein letztes Mal zu Kapitän.
»Bevor ich’s vergesse …«, setzt Liam an. »Ich fotografiere auch. Würd’s dir was ausmachen, wenn ich ein Bild von dir mache? Ist so ’ne Art Doku für Anna.«
Natan runzelt die Stirn.
»Nimm’s mir nicht übel, aber das ist mir zu schräg.«
»Schon okay.«
»Aber hey. Sag mir Bescheid, wenn Anna wieder da ist. Schreib mir ’ne SMS. Und versuch, dir nicht so viele Sorgen zu machen.«
Die Tür fällt ins Schloss. Ein dumpfes, kaum wahrzunehmendes Klacken. Das ihm sagt: Das war’s dann – hast alle Personen auf der Liste durch. Hast nichts mehr zu tun an diesem Sommertag.
Die Sonne knallt auf den Asphalt. Liam lässt das Auto stehen und geht durch das Wohngebiet hinunter zum Fluss. Zwischen den Steinen am Wasser gibt es immer ein Stück Strand. Er zieht die Schuhe aus, wühlt die Füße so tief in den Sand, bis er die Kälte des Erdreichs spüren kann. Wie war das? Man muss nur lange genug graben, dann findet man auch was.
Schon wieder so ein scheiß Tipp. So ein stereotyper Satz, den man sagt, wenn einem sonst nichts einfällt. Genau wie: Das wird schon. Mach dir nicht so viel Sorgen.
Dieses Haus. Keinen Tag würde er es darin aushalten. Dort kann man doch nicht leben.
Richtig, die Bullen. Die muss er noch anrufen. Ihnen d en Kontakt von Natan durchgeben. Der Vollständigkeit halber, könnte er sagen. Und dann: Schönes Wochenende. Denn was werden sie schon tun an einem Samstag, einem Sonntag. Grillen vielleicht, auf der Terrasse sitzen, ein kaltes Bier in der Hand haltend.
Liam legt sich rücklings in den Sand, will zwischen den großen Steinen verschwinden. Der Horizont über ihm: ein Meer, in das man fallen möchte. Vielleicht, denkt er, brauche ich bloß die Hand auszustrecken. Ich tauche sie ein ins Blau und ziehe die Antwort daraus hervor wie aus einer großen, sich weit spannenden Lostrommel.
Als er zum Auto zurückkommt, steht Natan auf der anderen Straßenseite. Liam hebt die Hand zum Gruß, doch Natan sieht ihn nicht, steigt stattdessen in ein Auto ein. Hinterherzufahren wäre leicht, da Liam ohnehin nichts zu tun hat. Doch wo soll Natan schon hin: Einkaufen, alte Kisten entsorgen. Und im Rückspiegel würde er ihn erkennen. Wie peinlich wäre das? Stattdessen wartet er, bis Natan um die Ecke gebogen ist. Denn was er noch nicht hat, ist ein Foto. Und wenn Natan nicht herhalten will, tut’s zur Not auch der Gartenzwerg. Der ein einsames Bild abgibt: gleich neben den vertrockneten Sträuchern. Einladend wirkt das alles nicht. Jetzt, wo er zum zweiten Mal vor dem Haus steht, fällt ihm seine graue Fassade auf. Die einmal weiß gewesen sein mag, vor Jahren, so wie die der Nachbarn, die irgendwann neu angestrichen haben.
Er geht um das Haus herum. An seiner schattigen Seitenwand stapelt sich alles mögliche Gerümpel: alte, halb verwitterte Regalböden, hundertfach im Regen weich und später wieder trocken geworden. Bilderrahmen, die Drucke darin verblichene Landschaftsmalerei. Und von einer Schicht Algen befallen: Dort, wo das Erdreich feucht ist, überziehen sie alle Gegenstände wie eine Krankheit, die man abwaschen mag.
Natürlich fragt er sich, was er sagen würde, wenn Natan plötzlich auftaucht. Ihn hier rumschnüffeln sieht.
Sorry, könnte er sagen. Bin eben neurotisch. Wollte noch ein Foto machen.
Der Garten erstreckt sich weit hinter dem Haus. Eine Kastanie steht hier, hochgewachsen.
Wie zeichnete Anna Natan noch gleich? Sein Gesicht, zur Seite gewandt. Eigentlich so, wie er vorhin am Küchentisch saß. Manchmal kann man in dem Gesicht eines Menschen mehr lesen, wenn er an einem vorbeischaut.
Was stand auf ihrer Skizze? Natan – traurig .
Traurig mag zutreffen. Auf den Zustand des Hauses, des
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