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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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seiner Heimat, den Einheimischen und der Ranch verantwortlich.
Als er seinen Militärdienst leistete, hatte er nie daran gezweifelt, dass er in seine Heimat zurückkehren würde. Was er auch tat.
    Doch im Rückblick fragte er sich oft, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Ob nicht er für den Niedergang verantwortlich war. War er, im Gegensatz zu seinen Vorfahren, keine Ausnahmeerscheinung? Obwohl er sich immer als etwas Besonderes gefühlt hatte, war es ihm nicht gelungen, etwas daraus zu machen.
    Vielleicht waren in ihm einfach jene außergewöhnlichen Persönlichkeitsmerkmale erloschen, die seinen Vater und Großvater charakterisiert hatten.
     
    Fiona Pritzle saß mit verkniffener Miene hinter dem Steuer ihres kleinen gelben Datsun-Pick-up, doch als sie ihn erblickte, hellte sich ihre Miene schlagartig auf. Trotzdem sah Jess noch einen Augenblick ihr mürrisches Gesicht vor sich, als er vor seinem Briefkasten stehen blieb. Sie stieg aus ihrem Wagen und grinste ihn an. Woher weiß sie nur, wann sie mich hier antrifft?, dachte er. Ich weiß nie, wann ich an welchem Tag die Post holen werde. Fiona war eine pummelige, in die Breite gegangene Frau mit dunklem Haar und einem breiten Gesicht mit Pockennarben, die sie durch eine dicke Schminkschicht kaschierte. Eine Parfümwolke traf Jess, als sie sich über die Motorhaube beugte und seine Post darauf ausbreitete, als hätte sie beim Pokern gewonnen und blätterte nun triumphierend die Karten auf den Tisch. Sie lächelte ihn an und entblößte dabei hübsche Zähne - ihr einziger Trumpf, was ihr Aussehen betraf. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass sie sich seit ein paar Monaten
besser kleidete, ihr Haar hochsteckte und Lippenstift auftrug. Offenbar fühlte sie sich mittlerweile dafür zuständig, seine Post nicht nur zuzustellen, sondern auch noch Kommentare dazu abzugeben.
    »Kataloge«, bemerkte sie. »Heute gleich drei, zwei davon für Damenbekleidung. Sie stehen also immer noch auf der Liste, obwohl …«
    Er bedachte sie mit einem finsteren Blick.
    »Und wieder eine Mahnung, Grundstückssteuer zu bezahlen«, sagte sie mit ihrer Kleinmädchenstimme und einem misstrauischen Blick. »Ich erinnere mich, bereits zwei zugestellt zu haben.«
    Er begnügte sich mit einem Nicken.
    »Jess, ich habe Herbert in der Stadt gesehen.«
    »Er ist dorthin gezogen«, sagte Jess.
    »Er hat gewunken, ist aber nicht stehen geblieben. Stimmt was nicht?«
    Verdammt, dachte Jess. »Er ist gerade in die Stadt gezogen«, wiederholte er einsilbig.
    Sie blickte ihn misstrauisch an, schob die Kuverts zusammen und reichte ihm den Stapel. »Auf der Straße ist viel los«, sagte sie. »Als ich um die Kurve bog, wäre ich fast auf ein Auto aufgefahren.«
    Er hob die Augenbrauen, ersparte sich jedoch eine Antwort. Vielleicht gab ihr das zu verstehen, dass sie verschwinden sollte. Er wusste, dass sie Absichten bei ihm hatte, doch sein Interesse an Frauen war erloschen.
    »Ein Cadillac Escalade mit drei Männern drin. Sie fuhren im Schneckentempo und blickten nicht nach vorn, sondern in den Wald.«

    Er zuckte die Achseln.
    »Brandneue Idaho-Kennzeichen. Wahrscheinlich weitere Zuzügler.«
    »Viele Menschen ziehen nach Idaho.«
    »Die meisten sind ehemalige Polizisten aus Los Angeles«, sagte sie leise und in einem verschwörerischen Tonfall. »Ich hab gehört, dass mittlerweile mehr als zweihundert Excops bei uns leben, ungefähr ein Dutzend davon allein in meinem Bezirk.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil ich die Rentenschecks in ihre Briefkästen stecke, außerdem Rundschreiben der Polizei und so weiter«, erwiderte sie stolz. »Einige von ihnen treffe ich jeden Tag. An ihrem Briefkasten, genau wie Sie. Ein paar sind echt nett und umgänglich, andere wollen für sich bleiben, wie Einsiedler. Als wollten sie sich mit jemandem wie mir nicht abgeben. Wenn sie nicht ihre Post holen müssten, würden sie das Haus womöglich gar nicht verlassen. Beim Los Angeles Police Department nennen sie Idaho ›Blue Heaven‹. Wussten Sie das?«
    Herbert hatte es ihm erzählt, doch ihm fehlte die Lust, über das Thema zu debattieren. Er persönlich hatte nichts dagegen, dass ehemalige Polizisten nach Idaho zogen. Wenn er darüber zu befinden gehabt hätte, wer sich in der Gegend niederließ, hätte er sich für die pensionierten Cops entschieden, die ihm ein bisschen Ähnlichkeit mit den alten Siedlern zu haben schienen, mit Männern wie seinem Großvater. Wie diese stammten die früheren Polizisten

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