Stumme Zeugen
›Villa-toro‹«, erwiderte Villatoro lächelnd.
Als er mit den Schlüsseln und dem Vertrag für einen roten Ford Focus in der Hand zum Parkplatz der Leihwagenfirma gehen wollte, fiel ihm noch etwas ein. »Haben Sie eine Karte, mit der ich den Weg nach Kootenai Bay finde?«, fragte er den Angestellten.
»Leider nicht.« Der junge Mann riss einen Zettel von einem Block und zeichnete die Route auf. »Es ist ganz einfach. Sie biegen hinter dem Flughafen nach rechts ab und folgen den Schildern zur Interstate 90.«
»Vielen Dank«, sagte Villatoro. Der Angestellte reichte ihm den Zettel und eine dicke Broschüre im Vierfarbdruck, in der die Angebote von Immobilien- und Grundstücksmaklern gesammelt waren. »Ich nehme an, Sie suchen ein neues Zuhause.«
»Nein«, sagte Villatoro, der die Broschüre trotzdem annahm. »Ich bin geschäftlich hier.«
»Tatsächlich? In welcher Angelegenheit? Ich dachte, Sie wären im Ruhestand.«
»Bin ich.« Das war keine Lüge, doch auch nicht die ganze Wahrheit. Aber der junge Mann war neugieriger, als er es für angebracht hielt.
»Oh«, sagte Jason irritiert.
Als Villatoro auf den in der prallen Sonne liegenden Parkplatz trat, rügte er sich dafür, schon wieder zu viel gesagt zu haben.
Er fuhr in dem kleinen roten Ford in östlicher Richtung und fand schließlich die Auffahrt zur Interstate, wobei er an einem großen Schild vorbeikam:
WELCOME TO THE INLAND NORTHWEST
Spokane wirkte überraschend alt und industriell geprägt, die Häuser in der Innenstadt überragten die Bäume mit einer Entschlossenheit, die seither vergessen schien. Er sah ein Schild, das den Weg zur Gonzaga University wies, deren Namen er im Zusammenhang mit Basketball gehört hatte, und auf einem anderen stand, nach Coeur d’Alene, Idaho, seien es nur noch zwanzig Kilometer.
Während er fuhr, startete er den Sendersuchlauf für Mittelwellenstationen und hörte Wortfetzen von Rush Limbaugh, Laura Schlesinger, Sean Hannity, Bill O’Reilly und Mark Fuhrmann, der im Zusammenhang mit dem O.J.-Simpson-Prozess bekannt geworden war und hier offensichtlich eine Talkshow im Lokalradio hatte, was Villatoro überraschte.
An der Grenze zu Idaho sah er riesige Shopping Malls, aber auch kleinere Einkaufszeilen mit Fastfood-Restaurants und Supermärkten der gleichen Ketten wie in Los Angeles. Statt Palmen gab es hier Kiefern, doch sonst war alles vertraut, was ihm in gewisser Weise ein Gefühl der Erleichterung verschaffte.
Als er bei Coeur d’Alene in Richtung Norden abbog, schien der Wald jedoch immer mehr den Raum zurückzuerobern, fast so, als wollte er die Autofahrer einschüchtern, und er fühlte sich tatsächlich ganz verloren. Sechzig Kilometer später ließ er die Bäume hinter sich und fand sich auf einer langen Brücke wieder, die über einen riesigen See führte. Die Sonne knallte mit einer Intensität durch die Windschutzscheibe, an die er nicht gewöhnt war. Auf der anderen Seite des Sees, umgeben von Wäldern, lag die Stadt
Kootenai Bay, und gut fünfzig Kilometer dahinter begann Kanada.
Die Innenstadt war klein und wirkte wie eine Erinnerung an eine andere Epoche, als Kootenai Bay lediglich ein Außenposten der Eisenbahngesellschaft gewesen war. Die in die Stadt führende Hauptstraße war von drei großen, durch Bäume verdeckten Wohnblocks gesäumt und endete plötzlich hinter einer scharfen Linkskurve. In den alten Backsteingebäuden - keines höher als einstöckig - waren Geschäfte für Snowboards, Fahrräder und Anglerbedarf untergebracht, doch es gab auch Maklerbüros und Espressobars. Er bog nach rechts ab, ließ die Innenstadt hinter sich, fuhr unter einer Eisenbahnbrücke her und erreichte kurz darauf das Seeufer, wo er im Best Western ein Zimmer reserviert hatte.
Er parkte unter einer Veranda, stieg aus dem Auto, dehnte seine Glieder und spürte die Beschwerden. Der Angestellte der Leihwagenfirma hatte recht, dachte er. Für meinen Rücken wäre ein komfortablerer Wagen besser gewesen. Bevor er die kleine Hotelhalle betrat, drückte er instinktiv auf die Fernbedienung an seinem Schlüsselbund, um das Auto abzuschließen.
An der Rezeption waren drei Leute vor ihm, zwei große Männer mit sehr kurz geschnittenen Haaren und eine kleine, dickliche Frau mit aufgedonnerter Frisur und grünen Shorts. Alle drei hielten Budweiser-Dosen in der Hand und redeten laut. Villatoro glaubte zu verstehen, dass sie wegen eines Veteranentreffens hergekommen waren. Während er wartete, fiel
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