Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Vater verdient gehabt. Er glaubte, noch vor der Ankunft seiner Familie zu sterben.
    Es kam anders. Während der nächsten paar Jahre musste Ty das Haus hüten; er erholte sich, aber die Ärzte verboten ihm, je wieder an einem Rodeo teilzunehmen. Blieben die Frauen, denen er in ganz North Idaho und im östlichen Washington nachstellte. An einem warmen Maitag verließ er seine Familie ohne ein Wort des Abschieds, und er kehrte nie zurück. Hearne verlor ihn im Laufe der Jahre aus den Augen, doch eines Tages rief Ty ihn in der Bank an und forderte, er solle ihm »um der alten Zeiten willen« einen Kredit geben. Hearne legte sofort auf.
    Er war kein Psychologe, aber man musste auch keiner sein, um zu erkennen, welche Auswirkungen Tys abruptes Verschwinden auf Monica und ihre Mutter hatte. Letztere wurde Alkoholikerin und zog nach Spokane, wo sie angeblich
eine feste Anstellung suchte, um dann ihre Tochter nachzuholen. Monica blieb in der Gegend und wurde von einer Pflegefamilie zur anderen geschoben. Sie wurde mit jedem Jahr temperamentvoller und schöner und übte auf die Jungs eine genauso starke Anziehungskraft aus wie ihr Vater auf die Frauen. Und sie tat nichts, um ihre Bewunderer zu entmutigen. Der wichtigste Mann in ihrem Leben hatte sie allein gelassen, und jetzt standen andere Schlange, um seinen Platz einzunehmen. Nach Hearnes Meinung wollte sie sich selbst beweisen, dass sie sympathisch und begehrenswert war und dass ihr Vater einen großen Fehler gemacht hatte. Und es erschien ihm logisch, dass sie nach faszinierenden, charismatischen und windigen Männern suchte, die ihrem Vater ähnelten. Dass ihre Intelligenz sie nicht daran hinderte, diesen Weg einzuschlagen, blieb Hearne immer ein Rätsel.
    Also hatte er aus der Ferne getan, was in seinen Möglichkeiten stand. Er bewilligte persönlich einen Kredit für ihr Haus, nachdem dieser von seinen dafür zuständigen Mitarbeitern abgelehnt worden war, weil Monica nicht über ausreichende Sicherheiten verfügte. Oder er erließ ihr die Zinsen, wenn sie ihr Konto überzogen hatte. War es ernsthaft überzogen, rief er sie an und riet ihr, etwas Geld einzuzahlen. Gelegentlich, wenn sie völlig abgebrannt war, lieh er ihr auch ein paar Hunderter. Sie hatte sich stets sehr höflich für seine Hilfe bedankt und sich nie so verhalten, als hätte sie ein Anrecht darauf.
    Er mochte sie, trotz ihres Rufs und der falschen Entscheidungen, die sie in ihrem Leben getroffen hatte. Als sie zum ersten Mal in Schwierigkeiten steckte, kam sie zu ihm, und
er versuchte, ihr zu helfen. Doch wenn man ihr zu dieser Zeit helfen wollte, war das etwa so, als wollte man sich mit erhobenen Händen auf die Gleise stellen, um einen Güterzug zu stoppen. Als ihr Mann ins Gefängnis kam, war er nicht sonderlich überrascht. Selbst heute, wenn er sie auf der Straße sah, musste er immer noch an ihr kindliches Gesicht denken, das bewundernd zu ihrem Vater aufblickte.
    Fühlte er sich von ihr angezogen? Natürlich, wie jeder andere Mann auch. Doch darum ging es nicht. Sie war ein Opfer, und er hatte damals miterlebt, weshalb sie heute Probleme hatte. Nur hatte er seinerzeit geglaubt, nichts für sie tun zu können. Wenn er zurückblickte, fühlte er sich mitverantwortlich für das weitere Schicksal der Taylors. Er hätte Ty zu Boden schlagen und ihm raten sollen, sein Leben in Ordnung zu bringen. Vielleicht hätte man es so in seinen Dickschädel hämmern können. Wenn nicht, hätte er ihm zumindest demonstriert, dass er mit seinem Lebensstil nicht einverstanden war. Tatsächlich hatte er dabeigestanden und bloß mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, wie Ty seine Familie ruinierte. Um dann mit ihm zum nächsten Rodeo zu fahren. Laura hielt ihn für einen Verrückten, weil er glaubte, er hätte damals etwas tun können, und sie sagte es auch.
    Jetzt riss sie ihn abrupt aus seinen Gedanken. »Sie werden die Kinder finden. Ich bin sicher, dass sie bei irgendjemandem untergekommen sind.«
    »Ich hoffe es«, sagte Hearne. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, wenn die eigenen Kinder spurlos verschwanden. Sein Sohn und seine Tochter waren verheiratet und
weggezogen. Als sie klein waren, hatte sich ihr ganzes Leben um die beiden gedreht. Es war unvorstellbar, wie sie sich damals gefühlt hätten, wenn ihre Kinder plötzlich nicht mehr da gewesen wären.
    Doch natürlich beschäftigte ihn nicht nur dieses Thema. Er dachte an Jess Rawlins und daran, dass er eigentlich keine Möglichkeit sah,

Weitere Kostenlose Bücher