Stumme Zeugen
Polizisten, die gerade nicht im Dienst waren, hatten geholfen, den Raum mit Telefonen, Computern, einem Faxgerät sowie einer Kaffeemaschine und einem Minikühlschrank auszustatten. Die harten Stühle um den langen Tisch waren gegen bequeme, ergonomisch geformte Sitzmöbel ausgetauscht worden, die die Mitglieder des Stadtrats bei ihren Sitzungen benutzten. Exlieutenant Eric Singer, Chef des Teams ehemaliger Polizisten, hatte die Weißwandtafel abgewischt und stand jetzt mit verschiedenfarbigen Stiften in der Hand davor.
Exofficer Newkirk saß zusammengesunken am Fuß des Tisches und blickte zerstreut durch eine gläserne Trennwand auf die Namensschilder der abwesenden Mitglieder des Stadtrats. Er fühlte sich krank. Seine Haut war gereizt, und sein Magen rebellierte, obwohl er weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen hatte. Vor ihm stand eine Platte mit kaltem Braten, aber er hatte keinen Hunger. Das Szenario, das sich vor ihm entwickelte, war das Letzte auf dieser Welt, womit er etwas zu tun haben wollte. Dies war genau die Situation, die ihn jahrelang nachts nicht hatte schlafen lassen. Und der Grund, warum er heute Magengeschwüre hatte.
Singer zog die Kappe von einem grünen Stift. »Können wir anfangen?«
»Ja.« Gonzales rückte den vor ihm liegenden Block zurecht und las vor, während Singer zu schreiben begann. Der Marker quietschte auf der Weißwandtafel und erfüllte den Raum mit einem schwachen Geruch von Lösungsmitteln.
»Wenn wir hier fertig sind, muss einer den Sheriff holen.« Singer blickte über die Schulter. »Newkirk?«
Der war in Gedanken woanders, und Gonzales schlug ihm mit dem Handrücken auf den Arm. »Hier wird nicht gepennt.«
Newkirk zuckte zusammen. »Was?«
»Singer spricht mit dir.«
»Ich wollte wissen, ob du den Sheriff holst, wenn ich hier fertig bin«, sagte Singer leise, jedes Wort übertrieben betonend. »Er muss grünes Licht geben.«
»Okay.«
»Ist wirklich alles okay, Newkirk?« Singers kalte blaue Augen starrten ihn an. »Hörst du überhaupt zu?«
Newkirk nickte, blickte Gonzales an und nickte erneut.
»Genau, du solltest gut zuhören«, sagte Gonzales.
Singer hob den Marker an seine Nase. »Ah, hier riecht’s wie in einer echten Einsatzzentrale, was?«
Sie hatten den Fall übernommen.
Als Newkirk das Pend Oreille County Sheriff’s Office betrat, fiel ihm ein korpulenter Mann in einem braunen Anzug auf, der im Eingangsbereich wartete. Newkirk nickte ihm zu und teilte dann der Sekretärin des Sheriffs mit, Singer erwarte ihren Boss in der Einsatzzentrale.
»Einsatzzentrale, Officer Newkirk?«
»Dann eben im Konferenzraum«, erwiderte Newkirk gereizt.
»Für uns ist es die Einsatzzentrale, bis die beiden Kinder wieder da sind.«
Die Sekretärin errötete, stand auf und ging zum Büro ihres Chefs.
»Eine gute Sache, was Sie da vorhaben«, sagte der Mann in dem braunen Anzug zu Newkirk. »Wenn nur alle so um ihre Nächsten besorgt wären.«
»Was?« Newkirk wirbelte herum, rückte seine Baseballkappe zurecht und studierte sein Gegenüber. Ein Mann im braunen Anzug, im Büro des Sheriffs, an einem Samstag. Irgendwie wirkte er hier so deplatziert, dass Newkirk aufmerksam wurde.
»Ich habe Ihren Namen gehört«, sagte der Mann. »Sie gehören zu dem Team von Freiwilligen und waren früher beim LAPD?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Das ist kein Geheimnis. Sind Sie Anwalt?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendein Interesse an diesem Fall?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich bin in einer anderen Angelegenheit hier.« Er stand auf und streckte die Hand aus »Eduardo Villatoro.«
Newkirk machte keine Anstalten, ihm die Hand zu schütteln. Es ging ihm auf die Nerven, wenn Latinos ihre Namen mit spanischer Betonung aussprachen, zum Beispiel mit gerolltem »r«. Gangmitglieder in L. A. wollten sich damit interessant machen, obwohl ihre Familien meistens schon in der zweiten oder dritten Generation in Amerika lebten. Er merkte, dass er den harten Blick des Großstadtbullen aufgesetzt hatte, was sein Gegenüber in der Regel dazu bewegte, zu viel zu reden.
»Auch ich bin hier, um mit dem Sheriff zu sprechen«, sagte Villatoro. »Aber es ist schon fast fünf. Ich frage mich, wie lange Sie ihn in Anspruch nehmen, bevor ich mit ihm reden kann.«
»Worüber?«
»Über eine andere Angelegenheit.«
Newkirk musterte ihn weiterhin mit dem Blick des harten Cops. »Okay, dann behalten Sie’s eben für sich. Allerdings glaube ich kaum, dass Ihr
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