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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Sichel steckte und von der Blut auf die Plane tropfte. Ein Stück Haut war förmlich an den Heuballen genagelt. Hätte
er die Hand weggezogen, um sich die Kinder zu schnappen, wäre die Haut gerissen. William schaute seine Schwester an, und in seinem Blick lag Angst vor den möglichen Konsequenzen seiner Tat.
    Sie wandte sich wieder zu Rawlins um, dessen andere Hand jetzt ebenfalls auf dem Heuballen lag.
    »Ich brauche die andere Hand, um die Klinge rauszuziehen«, sagte er. »Mir wär’s lieber, wenn du nicht auch noch mit der Mistgabel zustechen würdest.«
    Annie war klar, dass er wehrlos war, und auch er wusste es. Warum fühlte sie sich so mies?
    »Du bist Annie, stimmt’s?«
    Sie nickte.
    »Und du Willie?«
    »William«, korrigierte ihr Bruder.
    »Also, ihr beiden, ich bin froh, dass ihr wohlauf seid. Das ganze Land sucht nach euch.«
    Annie schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Wenn alle Welt nach ihnen suchte, hatten sie vielleicht wirklich nichts zu befürchten, wenn sie ihr Versteck verließen.
    »Was dagegen, wenn ich die Klinge aus meiner Hand ziehe?«, fragte Rawlins.
    »Wir haben Hunger«, sagte Annie. Sie wünschte, ihre Stimme hätte härter geklungen. »Sie können sie rausziehen, wenn Sie uns in Ihr Haus mitnehmen und uns etwas zu essen und trinken geben.«
    Jess Rawlins wirkte amüsiert. Dann blickte er William an. »Das wollte ich euch sowieso anbieten. Was für ein Glück, dass ich diese Hand noch nie besonders gemocht habe.«

Samstag, 17.34 Uhr
    Bankdirektor Jim Hearne bahnte sich unter Einsatz der Ellbogen seinen Weg zur Bar. Männer mit Schlips und Kragen und Frauen in Cocktailkleidern versperrten ihm den Weg, doch er brauchte einen Scotch. Den vierten in einer knappen Stunde.
    Gefeiert wurde die Eröffnung des neuen Sport- und Erholungszentrums von Kootenai Bay, dessen Bau über seine Bank finanziert worden war, und er war für das Projekt verantwortlich gewesen. Der Neubau verfügte über eine große Sporthalle, ein Schwimmbecken im Turnierformat, Tennisplätze, ein Fitnessstudio, Aerobicräume, Saunen und Jacuzzis. Obwohl ursprünglich von der Bank, der Stadt und dem County finanziert, waren so viele Exklusiv-Mitgliedschaften - in erster Linie an Zugezogene - verkauft worden, dass die Finanzprognose für das erste Jahr übertroffen werden würde. Es war die erste Einrichtung dieser Art in der Stadt, und zur Eröffnung waren zweihundert Gäste gekommen, die mit Gläsern in der Hand zusammenstanden, sich angeregt unterhielten und sich gegenseitig auf die Schulter klopften.
    Zwei Bars waren in der Sporthalle, auf dem Basketballfeld, jeweils unter den Körben. Hearnes Absicht war es, sich so unauffällig wie möglich zu betrinken, deshalb wechselte er für jeden Drink die Bar, damit der Barkeeper und die Gäste nicht mitbekamen, wie viel er trank. Als Bankdirektor stand er ständig unter Beobachtung, alle Welt redete über ihn. Das brachte der Posten mit sich, und er akzeptierte es, doch
an diesem Abend gingen ihm zu viele Gedanken durch den Kopf. Er hatte etliche Probleme, darunter ein ernstes, über das er mit niemandem reden durfte.
    Er drehte seine Runde, tauschte Nettigkeiten aus, begrüßte alte Freunde und hieß neue Mitbürger willkommen, von denen die meisten Kunden seiner Bank waren. Verzweifelt versuchte er, sich an Namen zu erinnern, und wenn sie ihm nicht einfielen und der Betreffende kein Namensschild am Revers hatte, sagte er einfach: »Schön, Sie zu sehen, danke, dass Sie gekommen sind.« Anschließend ging er schnell weiter. Er bemühte sich, nicht in Gespräche verwickelt zu werden, die sich meistens um die neue Einrichtung oder die verschwundenen Taylor-Kinder drehten.
    Am Nachmittag hatte der Sheriff eine Pressekonferenz gegeben, die von den lokalen Stationen ganz und von den landesweit ausgestrahlten Sendern teilweise übertragen worden war. Hearne hatte sie sich nervös angeschaut, immer darum besorgt, ob seine Stadt auch in einem günstigen Licht dargestellt wurde. Angenehm überrascht war er, wie gut der neue Sheriff sich schlug, denn er hatte Carey nicht gewählt, weil er ihn für einen aufgeblasenen Schwätzer hielt, dem die nötige Qualifikation für den Job fehlte. Gegenüber den Medien betonte Carey, es sei noch zu früh, um irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, in diesem Stadium gehe man davon aus, zwei vermisste Personen zu suchen. Nichts deute auf eine Entführung oder Schlimmeres hin. Carey wirkte kompetent,

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