Stummer Zorn
wurde, verging die Zeit wie im Flug. Zwei getrennte Stockwerke zu haben erleichterte das enorm. Wit stießen im Bad nicht zusammen, wir hielten einander nicht mit Licht, Musik oder Lernen wach. Unsere größte Meinungsverschiedenheit lag in der großen Debatte darüber, wann der Müll rausgebracht werden sollte - in der Nacht vor der Abholung, damit wir nicht in aller Herrgottsfrühe im Morgenmantel hinauseilen mußten, obwohl sich dann oft Hunde daran zu schaffen machten oder früh am Morgen, wobei die Hunde sich immer noch daran zu schaffen machen konnten, wenn wir nicht aufpaßten und sie wegscheuchten. Wir lösten dieses verzwickte Problem, indem wir uns mit dem Mülldienst abwechselten, anstatt ihn gemeinsam zu übernehmen.
Aufgrund unseres üppigen Kochens nahm ich vier Pfund zu, was mir, wie Mimi schwor, guttat. Ich fand, ich sah aus, als hätte ich eine Wassermelone verschluckt.
Attila wurde ziemlich besitzergreifend. Er ohrfeigte Mao jedes Mal unbarmherzig, wenn der kleinere Kater sich zu nahe an mich heranwagte. Ich gewöhnte mich daran, mit einer schweren Ladung Tigerkatze auf meinem Schoß zu lernen. Wenn ich allein war, erörterte ich mit Attila Dinge in ekelhafter Babyspräche.
Mimi belauschte mich ein paarmal dabei und machte anschauliche Würgelaute.
Gelegentlich hörte ich von New Yorker Freunden. Ihre Anrufe schienen mir wie Nachrichten aus einem fremden Land. Ich fand langsam wieder zu mir selbst. Mein Sprachrhythmus wurde bedächtiger. Ich trug auf der Straße keine Verkleidung mehr. Meine Manieren nahmen ihren früheren Schliff wieder an. Meine Denkweise verfiel (ein wenig) wieder ins Labyrinthische.
Die meiste Zeit jedoch lernte ich. Ich mußte. Wenn ich nicht gerade las, schrieb ich: nicht die erträumten Romane, sondern Aufsätze und Hausarbeiten der einen oder anderen Art.
Ich ging ein- oder zweimal mit einem Freund von Charles aus. Es war nichts, woran es sich zu arbeiten lohnte, gerade gut genug für einen relativ angenehmen Abend; er redete zuviel über Entenjagd, um nur eine Sache zu nennen. Aber unsere Doppeldates gaben mir die Gelegenheit, Mimi mit Charles zu beobachten. Zu meiner Erleichterung gab es deutliche Anzeichen dafür, daß sie endlich einen Anflug von Vorsicht und einen Sinn für ihre eigenen Rechte entwickelt hatte.
Manchmal sang sie mit mittelprächtiger Altstimme, wenn sie sich für ein Date zurecht machte, und manchmal hatte sie diesen erhabenen, gelösten Gesichtsaus druck der Verliebten. Aber häufiger schien sie in Gedanken. Ich war froh, das zu sehen; ich hatte mich bis dahin noch nicht überwunden, Charles zu mögen, obwohl ich es versuchte, und ich kritisierte ihn nicht, ich wiederhole: nicht. Aber vielleicht spürte sie meine Besorgnis. Er umwarb sie in einem derart rasanten Tempo, daß ich mich halb ernsthaft darum kümmerte, eine andere Wohnung in Knolls zu finden, für den Fall, daß es Charles tatsächlich gelang, sie um- und in die Arme des Friedensrichters zu hauen. Die Wohnverhältnisse in Knolls waten keine einfache Angelegenheit. Aufgrund der Knappheit an Wohnheimplätzen waren während des Semesters jede Hundehütte und jede Garage in der Stadt vermietet. Barbara Tucker hatte schrecklich lange gebraucht, um eine Wohnung zu finden, nachdem man sie vergewaltigt hatte. Sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten, länger in ihter ausgebauten Garage zu bleiben.
Die arme Barbara. Sie war der einzige Geist an einem vielversprechenden Horizont, und sie entwickelte sich zu einem sehr blassen Gespenst. Ich war wirklich ausgelastet, verzweifelt ausgelastet, und das schwache Zittern in ihrer Stimme erinnerte mich daran, daß ich sie besonders behandeln sollte, mußte. Sie war eine Überlebende.
Sie marschierte sehr eilig und sehr allein die Gehwege Houghtons entlang. Stans Abtrünnigkeit hatte sich als dauerhaft herausgestellt. Aus einer Bemerkung, die sie auf einem unserer seltenen Treffen fallenließ, glaubte ich zu wissen, daß sie Gullys professionelle Hilfe in Anspruch nahm, und ich hoffte, daß meine Vermutung richtig war. Cullys Ruhe, Zurückhaltung und Gewissenhaftigkeit wären für eine Frau in Barbaras Situation wohltuend, dachte ich.
Gespräche über Barbaras Vergewaltigung waten in Knolls nicht mehr aktuell, zum Teil, weil weder Heidi Edmonds (das erste Opfer) noch Barbara je im Mittelpunkt des Stadtgeschehens gestanden hatten. Mimi zufolge überwog das Gefühl, daß die Vergewaltigungen ein Campusproblem waren - obgleich viele der Einwohner
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