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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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Todesangst, der vernichtende Schrecken, den ich so gut kannte, hatte sie überdauert: Ich fühlte ihn.
    Sie hatte jeden Zentimeter des Weges um ihr Leben gekämpft. Sie hatte es fast geschafft. Fast.
    Die Spur ihrer letzten Augenblicke führte durchs Haus. Blutflek-ken auf dem Teppich und auf der Innenseite der Vordertür. Det Handabdruck auf dem Treppenpfosten. Einer ihrer Hausschuhe. Der Kratzer eines Messers von einem Stich, der sie verfehlt und die Wand getroffen hatte. Blutstropfen, die durch die Küche führten und schließlich ihre Leiche, zusammengebrochen an der Innenseite det Hintertür, das Blut von ihren Händen an die Schlösser geschmiert, während sie daran herumgefummelt hatte, um sie zu öffnen; sie hatte die Tür aufgeklinkt, war aber nicht mehr in der Lage gewesen, nach draußen zu kommen. Alicia hatte es fast hinaus in den Garten geschafft, wo sie sich in den Büschen hätte verstecken können, bis ihre Schreie Hilfe holten.
    Ich hatte Alicias unversehrte Unterwäsche unter ihrem Bade man tel, der durch den Fall nach oben gerutscht war, gesehen. Also war sie von einer Vergewaltigung verschont geblieben, hatte aber ihr Leben verloren! Ihr Schrecken und ihre Verzweiflung lagen dicht wie Nebel im Haus. Der Teil von mir, der zu egoistischen Gedanken imstande war, hatte Angst um mich. Es war zu früh für mich, um das auszuhalten. Aber das mußte ich, denn Mimi war noch im Obergeschoß.
    Meine alten Freunde Tendall und Markowitz erschienen an der Hintertür, begutachteten, was dort lag, ehe sie auf dem Kies des Zufahrtsweges zur Vordertür knirschten. Dann verdeckten die Spurensicherer, die sich um sie scharten, Alicias Leiche.
    Sie hätte es gehaßt, so vor ihnen zu liegen.
    Die Kriminalbeamten kamen zur Vordertür herein und achteten darauf, den Knauf und die Schwelle nicht zu berühren. Sie waren nicht überrascht, mich zu sehen. Jemand mußte sie ins Bild gesetzt haben. Sie nickten in meine Richtung, waten aber durch ihren Job zu sehr beansprucht, um mir große Beachtung zu schenken. Ich starrte John Tendall an, um seine Reaktion zu beobachten, um sie Barbara zu berichten; er stand auf det Liste. Et sah ganz einfach beschäftigt und professionell aus. Er hatte dichtes, graues Haar, das ordentlich frisiert war. Mit seiner tiefen Bräune und der protzigen Sportjacke sah er eher wie ein mickriger Ganove aus als ein Polizeikommissar. Markowitz war genauso pingelig, was seine Haare betraf - er bevorzugte Föhnwellen der Jerry-Lee-Lewis-Schule. Er war kräftig, blaß und hatte stechende Augen, die aus einem ausdruckslosen Gesicht starrten. Sie waren beide Arbeiter, die in einen schwierigen Fall vertieft waren.
    Ich machte mir immer mehr Sorgen um Mimi. Die Polizei sollte sie nicht so lange hierbehalten. Sie mußte raus aus diesem Haus. Gerade als ich aufstand, um nach ihr zu sehen, erschien sie auf der Treppe. Ihr Gesicht hatte eine schreckliche Farbe, selbst ihre Lippen; weiß wie die Kleider, die wir getragen hatten, als wir unseren Abschluß bei Miss Beachams gemacht hatten - Mimi, Alicia und ich. Mimi zitterte so sehr, daß es aussah, als hätte sie Schüttellähmung. Einer der Streifenpolizisten mußte ihr die Treppen herunterhelfen. Ich stand sofort auf und wartete dort mit erhobenen Armen, als wollte ich ein Kind auf den Arm nehmen. Ich konnte keine Trauer mehr ob des Handabdrucks am Treppenpfosten aufbringen. Alicia war tot. Mimi war am Leben und würde sehr bald zusammenbrechen.
    Gerade als ich den Arm um sie gelegt hatte, und wir uns daranmachten zu gehen, fragte Markowitz, ob Mimi wüßte, wie sie Ray kontaktieren konnten.
    „Rufen sie Rays Mutter an, Mrs. Ralph Merrit", sagte ich. Später wunderte ich mich, wie ich es geschafft hatte, diesen längst verdrängten Namen wieder hervorzuholen.
    Wir mußten selbstverständlich durch die Vordertür. Nachbarn standen auf ihren Terrassen und schauten auf die Polizeiautos. Die Menschen in Knolls waren so neugierig wie überall, aber sie schämten sich dafür. Für einige Sekunden kam niemand, um mir zu helfen - nicht aus Angst, in etwas hineingezogen zu werden, sondern aus Angst, neugierig und aufdringlich zu erscheinen. Schließlich humpelte die alte Mrs. Harbison (die sich schon als in die Sache verwickelt betrachten konnte, da sie ja die Polizei gerufen hatte) herbei, um mir soviel Unterstützung zu geben, wie sie konnte. Es reichte. Sobald die alte Dame erkannte, daß ich es schaffte und Mimi sicher auf einem der Sofas verfrachtet war, ging sie

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