Stummer Zorn
morgens auf J. R.s Sofa eingeschlafen ist. In Anbetracht des Alkohols glaube ich nicht, daß einer von den beiden danach noch mal hätte aufstehen können, um rauszugehen, und es waren nur sechs Männer da, nachdem nicht jeder bereit ist, am Freitag nach zwei Stunden Schlaf mit einem erstklassigen Kater Kurse abzuhalten. Also glaube ich, es wäre aufgefallen, wenn einer von ihnen für eine gewisse Zeit hinausgeschlüpft wäre."
„Hört sich so an", stimmte ich zu. „Abgesehen davon wäre da Blut gewesen, bei Alicia. Das hätte entfernt werden müssen." Ich holte tief Luft. „Also", sagte ich so ruhig ich konnte. „Sechs."
Eine Stunde lang dachten wir über weitere Kriterien nach, die einen der sechs hätten ausschließen können. Uns fiel keines ein. Wir ließen sogar Ray auf der Liste.
„Übrigens", sagte Barbara, während sie mit mir zu meinem geliehenen Auto lief, „ich nehme an, du hast unser kleines Projekt niemandem gegenüber erwähnt?"
„Aber sowas von nicht", sagte ich wie einer meiner jungen Kommilitonen.
„Die einzigen Menschen, denen ich davon erzählen würde, sind Cully und Mimi, und nachdem ihr Vater auf der Liste steht ..."
Sie nickte. „Nicht, daß ich auch nur eine Minute glauben wütde, daß jemand Liebenswertes wie Don Houghton oder auch jemand so Ehrwürdiges wie Jeff Simmons, unser mächtiger Collegepräsident,
Herrgott noch mal, jemals etwas Derartiges tun könnte wie das, was uns angetan wurde."
„Genau! Kennen wir irgend jemanden auf dieser Liste, der sich irgendwie so verhält wie das widerwärtige Tier, das uns das angetan hat? Wer könnte Alicia mit einem Messer erstechen?"
Barbara kannte die Antwort zu gut, um sie laut auszusprechen. Wenn wir recht hatten, mußte das Tier unter der zivilisierten Haut lauern, die jemanden bedeckte, den wir kannten.
Wir blickten hinauf in den klaren, kalten Himmel, Lieblicheres Wetter am Nachmittag, Mantelwetter am Morgen - meine Lieblingsjahreszeit. Dies wäre eines der besten Jahre meines Lebens gewesen, wenn nur ... für einen Moment war der Schmutz wie von Zauberhand weggewaschen. Dann preßte ich den Zeigefinger gegen den Daumen und kniff mir in die Wange. Es war sinnlos, mich in diese Sackgasse zu begeben. Hoppla hopp, zurück zur wunderbaren alten Realität.
Barbara war mittlerweile zu sehr an meine Angewohnheiten gewöhnt, um mein Wangenkneifen zu kommentieren. „Sechs", erinnerte ich sie, ehe ich davonfuhr. Sie sah einfach allein und verlassen aus.
Vielleicht aufgrund des weitreichenden Einflusses ihrer Familie war Alicias Autopsie beendet und ihr Körper am Sonntag ihrer Familie -und damit dem Grace-Bestattungsinstitut — übergeben worden. Wir beschlossen, ihr am nächsten Abend die letzte Ehre zu erweisen.
Ich war angezogen und fertig, Cully war unter der Dusche, als Mimi mich allein im Wohnzimmer abfing. Sie sah in ihrem schlichten dunklen Kleid, das sie nur zu Beerdigungen und in Bestattungsinstituten trug, ungewohnt düster aus.
„Erzähl Cully nichts von meiner Ahnung bezüglich Charles", sagte sie ohne Vorrede. „Es ist nicht so, als ob wir irgendwas sicher wüßten, und um dir die Wahrheit zu sagen, Nickie, mache ich mit Sorgen darüber, was Cully tun würde, wenn er glaubte, daß Charles der Vergewaltiger ist."
Cully der Vernünftige als Rächer, der das Gesetz in die eigenen Hände nahm? Weit hergeholt. Ich starrte Mimi mit Bestürzung und einem nagenden Verdacht an. Das fühlte sich nach Manipulation an. Benutzte sie Cully als Druckmittel, damit ich schwieg, um ihren Rechtsanwalt zu schützen?
Ich verdächtigte Charles nicht wegen des bizarren Vorfalls in der Küche am vergangenen Samstag. Ich verdächtigte Charles, weil er auf det Liste stand. Aber das konnte ich ihr nicht sagen und ich wollte auch herausfinden, worauf sie abzielte. „Was, wenn es Charles ist, Mimi? Wir können nicht zulassen, daß er es noch mal tut. Denk daran, was dieser Mann getan hat."
„Wir wissen gar nichts", fauchte sie. Die Dusche war abgedreht worden; Cully würde uns hören, wenn wir nicht leise sprachen. „Ich war am Samstag morgen vielleicht grundlos verängstigt. Wenn Charles auf Verdacht festgenommen wird und unschuldig ist, wird das an ihm hängenbleiben, und er wird ruiniert sein. Außerdem kenne ich Charles, verstehst du das nicht? Ich weiß, du magst ihn nicht, auch wenn du versucht hast, es dir nicht anmerken zu lassen."
Mir rutschte das Herz in die Hose. Das war das Ergebnis der Jahre, bevor ich in meinem Umgang
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