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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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wegen unheimlich neugierig, welches Make-up er benutzt hatte. Warum hatte Ray gewollt, daß der Sarg offen war? Warum um alles in der Welt war die Familie übereingekommen, Alicia vor jedem, der einen Blick auf sie werfen wollte, aufzubahren? Es kam mir wie die schlimmste Verletzung der Privatsphäre vor, die ich je miterlebt hatte. Ich war entsetzt, aber ich war ebenso fasziniert. Sie hatte so schrecklich ausgesehen, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte: Mund offen, weit aufgerissene Augen, Beine gespreizt, von Blut bedeckt. Ich zwang mich einzugestehen, daß das, was ich jetzt sah, besser war -und nach dem anfänglichen Schock seltsam tröstlich.
    Das hier war keine Frau, die in ihrem letzten Schmerz und ihrer letzten Angst erstarrt war. Das war eine gelassenere Alicia: sauber, frisiert, das Gesicht zu einer Seite gewandt, um eine Kopfverletzung zu verdecken, an die ich mich erinnerte. Sie strahlte die Würde aus, die sie auch zu Lebzeiten umgeben hatte. Sie wurde so gezeigt, wie sie es gewollt hätte. Aber ich schwor mir, daß ich in meinem Testament irgendwo festhalten würde, daß ich einen geschlossenen Sarg wollte.
    Ich nahm flüchtig wahr, wie Mrs. Harbison ging. Als ich schließlich von dem Gesicht aufsah, das ich zuletzt blutverschmiert gesehen hatte, traf mein Blick Don Houghtons. Sein Gesicht war sanft, ruhig und weiß. Ich fröstelte. Er blickte mich unter standhafter Mißachtung dessen, was buchstäblich zwischen uns lag, ohne Unterbrechung an. „Es ist jedes Mal wieder erschreckend, nicht?" bemerkte er.
    Vielleicht lag es an dem behutsam gedimmten Licht, vielleicht an der erdrückenden Präsenz des Todes, oder meinem eigenen Entsetzen darüber, Alicia zu sehen — aber er schien nicht derselbe Don zu sein, den ich schon all die Jahre kannte. Nicht der gleiche Mann, der mit uns in den Zoo in Memphis gegangen war und der seine Frau so geduldig und liebevoll ertrug. Ich hätte liebet auf Alicias Leichnam geblickt als in das Gesicht dieses Fremden. Als ich den Blick senkte, beobachtete ich wie aus der Ferne, wie meine Hand den Rand des Sarges so fest umklammerte, daß die Knöchel weiß geworden waren. Ich zog ruckartig die Hand zurück.
    Er steht auch auf der Liste, dachte ich. Es gab nur eine Liste in meinem Leben, eine Namensliste, und dieser Mann, der Vater zweier Menschen, die ich liebte, stand auf ihr.
    „Aus der Mitte des Lebens zitierte Don bedeutungsvoll.
    Ich blickte unfreiwillig auf. Er schaute jetzt hinunter auf Alicia. „Ich habe sie immer gemocht", sagte er lediglich. Er ging um den Sarg herum und kam in einem Abstand von zwei Schritten an mir vorbei, als er durch den Bogengang ging.
    Gott sei Dank war Cully so groß. Ich entdeckte ihn sofort und floh zu ihm wie ein Vogel, der zu seinem Baum heimkehrte. Er war in eine leise Unterhaltung mit einer Gruppe von Leuten aus dem College vertieft: Barbara, die Cochrans, Jeff Simmons, einige vertraute Gesichter, zu denen ich keine Namen kannte. Ich zupfte an Cullys Mantel. Er drehte sich überrascht blickend schwungvoll um. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, murmelte er eine Entschuldigung über die Schulter und führte mich weg.
    „Ich muß hier raus", sagte ich angestrengt. Er sah mir an, daß ich es ernst meinte, bat umgehend Theo, Mimi nach Hause zu bringen und huschte mit mir ohne auf eine Antwort zu warten gerade noch rechtzeitig hinaus und zum Parkplatz. Ich rannte zu einer Buschgruppe auf der anderen Seite und übergab mich.
    „Romantisch, was?" keuchte ich zwischen den Blättern. Er sagte kein Wort. Ich liebte ihn dafür so, daß ich seine Hände hätte küssen können. Aber Liebe und Erbrechen, Angst und Erbrechen passen nicht gut zueinander. Letztlich ist alles, woran man denkt, das Erbrechen. In dieser Nacht zahlte sich Cullys Ausbildung über alle Maßen aus. Er stellte mir auf dem Heimweg keine Fragen. Er murmelte lediglich wohltuende Dinge über ein heißes Bad und Schlaf, genau das, wovon ich selbst geträumt hatte. Ich lehnte mich erschöpft zurück. Die Dinge in meinem Inneren beruhigten sich nach und nach ...
    Es war nicht nur die unheimliche Unterhaftung mit Cullys Vater, die mich so aus der Fassung gebracht hatte oder Mimis schmerzliche Introvertiertheit oder Rays Feindseligkeit, obwohl all das dazu beigetragen hatte. Als ich hinab auf Alicias regloses Gesicht geblickt hatte, hatte ich mein eigenes gesehen. Ich hatte meine längeren, schmaleren Hände auf Taillenhöhe gefaltet gesehen.
    Es war ein abscheulicher

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