Stunde der Klesh
lösten sich vier hochaufragende Schatten aus der dunklen Front der Neuankömmlinge und schritten gemessen auf den Karren zu. Ein Frösteln stillen Schreckens ließ Jemasmy für einen Moment erschaudern, aber Morgin, der dies aus den Augenwinkeln bemerkt hatte, lächelte darüber. Die Haltung der herannahenden Haydars bestätigte seine Hoffnung. Er wußte genug über die Sitten der Haydars, um einschätzen zu können, daß ihre Art der Annäherung Neutralität, wenn nicht gar Friedfertigkeit ausdrückte.
Sie waren schon recht nahe. Jetzt konnte Morgin endlich Unterschiede erkennen in Umriß, Größe, Tracht und Haltung. Er sah noch einmal zu der Stelle hinauf, wo die ganze Gruppe gestanden hatte. Die anderen waren verschwunden. Unter den vier Verbliebenen konnte Morgin nun einen erkennen, der einen großen Sack mit sich führte; das mußte der Sackdiener sein. Ein anderer schritt selbstbewußt aus, so daß der Umhang um seine Beine schlug: Afanasy, der Mittler. Ein weiterer hielt sich ebenfalls sehr stolz, wirkte aber sichernd und zurückhaltend, wahrscheinlich war es Mallam, der Anführer. Auch der vierte bewegte sich mit der leichten, fließenden Grazie, die den Haydars zu eigen war, und auch er verfügte über eine imposante hochaufgerichtete Gestalt, und doch lag etwas Weiches, Gleitendes in seinen Bewegungen. War dies das Mädchen? Vermutlich. Morgin besann sich auf die Gebräuche der Haydars. Nur eine Ungetraute konnte als Omendeuterin mit einer solchen Gruppe das Land durchstreifen – das mußte Tenguft Ouarde sein.
Jetzt standen sie vor ihnen. Benne und die Saumer streiften sie nur mit einem flüchtigen Blick, und Jemasmy ignorierten sie ebenfalls. Seuthe war für diesen Mangel an Beachtung gar nicht undankbar. Vor Morgin bildeten sie einen kleinen Halbkreis, und alle richteten ihren Blick auf ihn. Das Mädchen, falls Morgin recht mit seiner Annahme hatte, beugte sich tief auf den Boden und legte einen Speer vor Morgin ab. Der Speer maß einiges über zwei Meter und war damit nur wenig länger als das Mädchen, dessen Körperhöhe zwei Meter deutlich überschritt. Die anderen waren noch größer.
Morgin griff unter seinen Kaftan und zog ein dolchartiges Messer mit gezackter Schneide hervor, eine recht tückische Waffe; diese legte er zu dem Speer auf den Boden.
Einer aus der Gruppe ergriff nun mit dunkler, tiefer Stimme das Wort: „Ich bin Afanasy, ich bin dir vielleicht als Mittler bekannt?“
Morgin erwiderte: „Ich bin Morgin Balebaster, Mittler in Ombur. Du überraschst mich. Ich sage das, ohne dich beleidigen zu wollen; bist du von echtem Haydar-Blut?“ Morgin bezog sich auf Afanasys Aussehen; die Tradition wollte es nämlich, daß ein Mittler immer ein Mischling war.
Afanasy antwortete, ohne den dumpfen Klang seiner Stimme zu verändern: „Ich bin kein Vere-Dagazaram-Haydar wie die anderen hier. Ich stamme von den Techiascos. Offensichtlich war ich Mischling genug, den Wendel von meinem Vorgänger zu übernehmen, wenn es auch äußerlich nicht so scheinen mag. Können wir etwas für dich tun, Meister Mittler von Ombur, um die Ordnung zu bewahren?“
Morgin sagte: „Lagostomer haben unsere Spur vom Delta herauf verfolgt, und unser Wendel sieht Meorer, die sich ihnen anschließen wollen. Sie müssen irgendwo in den Hügeln stecken. Ich trage Berichte bei mir und wünsche nur unbehelligt nach Westen zu den Wassern von Medlicht und dann weiter nach Utter Semerend ziehen zu können.“
„Ja, besitzt du denn keine Immunität?“
„Die gilt nur für das Delta selbst.“
„Du hast nichts zu befürchten. Am Abend, als wir landeten, sind wir auf eine Meorer-Bande gestoßen. Sie waren es nicht wert, ‚Feinde’ genannt zu werden. Die Überlebenden sind nach Osten geflohen. Es war uns zu mühselig, sie alle zu vernichten. Wir sind hier, um neue Länder auszukundschaften. Nach Ost-Ombur ziehen die Haydars nicht. Sehr selten gehen wir dort auf Jagd.“
„Wollt ihr euch hier niederlassen?“
„Die Dagazaram werden sich teilen. Die Ullahi bleiben in den Jagdgründen der Väter. Die Iasamed gehen nach Ombur. Wer wird sich dagegenstellen, Mittler?“
Morgin dachte einen Moment nach, dann antwortete er: „Soviel ich weiß, will der Inkantor Ivak Ruggou das Territorium seiner Aurisman-Septe erweitern.“
Afanasy erwiderte: „Aurisman-Septe? Wir kennen die Aurisman. Sie leben in ihren kleinen, befestigten Städten und bebauen das Land um sie herum. Solange sie sich mit ihren kleinen Äckern
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