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Stunde der Klesh

Stunde der Klesh

Titel: Stunde der Klesh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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vergessenen Orten gab es den Rada Zlat nicht mehr.
    An diesen entlegenen Plätzen hielten sie sich nur wenig länger. Auch diese letzten Zlats wurden zu einsamen Wanderern, die als Wahrsager und Omendeuter umherzogen. Sie vermischten sich mit Mischlingen und Ausgestoßenen, und das war das endgültige Ende ihrer Rasse.
    Eine Generation nach diesem angenommenen Ende wurde ein Junge geboren, der allem Anschein nach ein reinblütiger Zlat war. Ein grausames Schicksal prägte seine ersten Jahre: Sehr bald machte ihn einer der zahllosen Stammeskriege zu einem Waisen. Eine alte Frau nahm sich seiner an; sie behauptete, ebenfalls ein Zlat zu sein, und sie besaß einen dieser Apparate, der ihnen ihre Weitsicht verlieh: den Skazenach {20} , ein Drahtgespinst, durch das sein Benutzer ferne Länder und Zeiten sehen konnte. Die Anleitung hierzu konnte er aus den alten Epen und Sagen lesen, die zum Stammesgut der Zlats gehörten.
    Die Alte ließ sich mit dem Jungen in den Yast-Sümpfen beim Mündungsdelta nieder; eine Fleischräucherei sicherte ihnen ein bescheidenes Auskommen, und gelegentlich verdiente die alte Frau etwas hinzu, indem sie vorüberziehenden Nomaden aus dem Ombur-Hochland die Zukunft vorhersagte. In der frühen Jugend war der Junge schwach und kränklich, und es gab wenig, wozu man ihn im Zeltlager der Nomaden anstellen konnte. Hin und wieder betätigte er sich als Wasserträger; nach dieser Tätigkeit erhielt er seinen Namen: Sano Hanzlator. Der regionale Dialekt jener Gegend war eigentlich verstümmelte Singlesprache, und die Bedeutung seines Namens war etwa folgende: „Wasserjunge Letzter Zlat.“ {21}
    Nach einer Weile legte sich die alte Frau zum Sterben nieder, und sie unterwies den Jungen in der Benutzung des Skazenachs. Nur ihm vertraute sie diese Geheimnisse an, und er mußte schwören, daß er sie bewahren würde, denn der Geschichtenerzähler war von allen Orakeln das mächtigste, und seinem Besitzer wurde von jedermann nachgestellt, damit er ihm die Zukunft deute.
    Als der Junge zum Mann herangereift war, hatte er seine Schwächlichkeit abgestreift. Als kräftiger, drahtiger Bursche verließ er die Lager der Nomaden und machte sich auf nach Norden, nach Yastian, der riesigen Stadt. Sie war ein gewaltiger Schmelztiegel, in dem sich alle Rassen vermischten. Haß und Abscheu schwebten in der Luft, und ihr Geruch war stärker als der Gestank der Sümpfe. Straßenräuber und Dirnen lungerten ebenso in den Gassen herum wie zerlumpte Bettler und Edelleute, Weise und Narren, Reiche und Gebildete, Arme und Dumme. Prinzen sah man und fette Höflinge. Verbrechen wurden in der Nacht und am hellen Tag verübt; ein Leben zählte weniger als nichts.
    Doch Sano war bei den Nomaden durch eine harte Schule gegangen, er verstand es, sein Orakel zu nutzen, und die alte Frau hatte ihn Lesen und Schreiben gelehrt. Darum hielt er sich recht gut in der Stadt; er verdiente sein Brot als Schreiber an der Palastmauer, wo er für andere Bittbriefe abfaßte.
    Der Junge Sano überlebte nicht nur, er brachte es sogar zu einem gewissen Wohlstand, denn er verstand es, das wenige, das er besaß, zusammenzuhalten. Während er älter wurde, gewann er eine tiefe Einsicht in das Leben der Stadt und ihrer Bewohner. Er stellte fest, daß es ein einziges Geheimnis gab, das zu wissen sich wirklich lohnte: Die Gesellschaft bestand nicht aus Besitzenden und Besitzlosen, sondern aus Erkennenden und Handelnden. Und es war so, daß die Handelnden unfähig zur Erkenntnis waren und die Erkennenden unfähig zur Handlung. Dies war das große Geheimnis, diese Trennung galt für Menschen und Klesh. Ihm wurde noch eine zweite Erkenntnis zuteil: Die Klesh würden nie Fortschritte machen, wenn sie nicht begriffen, daß sie zusammenarbeiten mußten. Sie mußten lernen, einander zu ergänzen, anstatt ewig danach zu trachten, den anderen zu übertreffen. Der Stolz auf seinen Rada, den ein jeder empfand, war nur ein weiterer Schritt in diese Sackgasse, denn so kulminierten die Rachegefühle, weil jeder jedes Verbrechen, das an einem Mitglied seines Stammes verübt wurde, rächen wollte, auch wenn die Tat in dunkler Vergangenheit verübt wurde.
    Dies alles hatte Sano erkannt, und er widmete sein ganzes Leben seinen Studien und Träumen. Bald beherrschte er seinen Skazenach meisterlich, und er betrachtete durch ihn ferne Länder und vergangene Zeiten. Aus dem Volk der Klesh wollte er ein großes Volk machen, dies war sein Ziel. Und das konnte nicht geschehen,

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