Stunde der Klesh
Stämmen herrschte ein seltsames Gleichgewicht, eine Ruhe, so, als sei mein Krieg der letzte große Kampf gewesen, den diese Welt erlebt hatte. Was mochte in all diesen Jahrhunderten geschehen sein? Für mich waren sie nur ein Augenzwinkern, dann wurde ich zu dir.“
„Glaubst du, daß man vorher schon mal versucht hat, den Übertritt herbeizuführen?“
„Ja. Aber wie wir Klesh uns abzuschirmen vermögen, das weiß niemand, der selbst kein Klesh ist. Der Übertritt konnte einfach nicht gelingen, da wir einander zu stark hassen. Alle unsere Gefühle sind zu stark. Darum hat es einen Menschen von einer anderen Welt zu mir gebracht, damit …“
„… du wieder alles in Unruhe versetzt.“
„Laß mich mit den alten Worten antworten: Tasi mapravemo zha’. Mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit. Damit ich versuche, das Imperium von neuem zu errichten, damit wieder Kampf ist, wo jetzt Ruhe herrscht. Deshalb verberge ich mich vor ihm. Es hat mir die Rückkehr ermöglicht, dabei hat es mir gleichzeitig ein Versteck geboten, das ich einst nicht hatte. Du allerdings kannst dich nicht verstecken, darum werde ich dir helfen, so gut es geht.“ (An dieser Stelle brach der Gedankenstrom einen Moment lang ab. Er schien über etwas nachzudenken, von dem Meure nichts wußte.) „… Ja, es will den Kampf, das ist gewiß. Dieses eine weiß ich, denn ich habe zurückgeschaut durch den Skazenach, bis zum Anfang und darüber hinaus. Ha! Bis hinter den Anfang! Ich kenne das Geheimnis der Ler und weiß, wie albern es ist. Narren waren sie. Die Heilige Zermille, unsere heilige Frau von Monsalvat, die Beschützerin der Schwachen, die Helferin der Waffenlosen – auf einem Planeten, dessen Volk Gerechtigkeit mit Rache verwechselte und den Unterschied zwischen beiden vergaß. Und doch kannten wir immer die Wahrheit, und sie gingen in die Irre. Wenn wir aber in dieser Frage recht haben, dann frage ich mich, ob es nicht noch viele Dinge auf diesem Planeten gibt, über die nur wir die Wahrheit wissen. So wie über dieses Etwas. Es ist nah, und ich weiß doch, daß es fern ist …“ (Sein Gedanke verblaßte, es war, als würde er zu sich selber sprechen.) „… Wenn es Kampf will, dann soll es diesen selber spüren; doch ich muß es finden, bevor es mich gefunden hat.“
„ Was ist es, dieses ‚es’?“
„Ich glaube, es kann uns fast genauso schlecht wahrnehmen, wie wir es wahrnehmen können. Aber es kann weittragende Ereignisse bewirken, Strömungen unter den Leuten verursachen. Seine Reichweite ist fast unendlich, aber Feinarbeit fällt ihm schwer, die läßt es andere ausführen. Es beeinflußt sie durch die Orakel.“
„Das klingt, als würdest du von einem Gott sprechen.“
„Wir reden hier nicht über Religion … Ich weiß nicht einmal, ob es lebt, jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem wir etwas als Lebewesen bezeichnen – wie ein menschliches Wesen, ein Tier oder eine Pflanze.“
„Aber du sagtest, daß es über eine Wahrnehmung verfügt: das heißt doch, daß es lebt? Und außerdem bewirkt es Geschehnisse …“
„Viele Dinge können etwas wahrnehmen, und auch das Unbelebte kann etwas verursachen. Manche eurer Maschinen haben einen bewußten Willen, aber sie sind dennoch Maschinen. Als ich sie zum letztenmal betrachtet habe, waren sie jedenfalls keine Lebewesen … Einmal habe ich durch Raum und Zeit hinausgesehen, und ich beobachtete einen jungen Mann, der in der Nacht in einem Turm saß und Verse verfaßte. Es spielt keine Rolle, wo und wann das war, wie also sein Verhältnis zu dir und mir und dem verfluchten Monsalvat war. Einiges sprach er laut vor sich hin und arbeitete daran, bis es den richtigen Klang hatte. Seine Worte waren fremd und ungewöhnlich, aber ich habe sie verstanden und nicht vergessen: ‚Die Sprache, ein Phänomen der Chemie, mit Atomen, Molekülen und komplexen Verbindungen, kann in einer geeigneten Umgebung und unter Zusatz der nötigen Reizstoffe zu einer schöpferischen Struktur werden, die aus eigener Kraft Lebensformen hervorbringt. Laute werden zu Wörtern, zu Ideen, die Gestalt annehmen. Wir denkenden Wesen leben zu einer Zeit, die man nur als Vorstufe des eigentlichen Lebens bezeichnen kann; unvorstellbar sind uns die Lebensformen der Zukunft, deren Nährboden wir sind. Es wird eine Zeit kommen, in der wunderschöne, brennende Tiger durch die nächtlichen Wälder unseres Geistes schleichen werden.’ Was denkst du darüber? Hm? Daß unsere Gedanken eine lebende Gestalt annehmen
Weitere Kostenlose Bücher