Stunde der Vergeltung (German Edition)
beschloss, sich nicht mit Make-up aufzuhalten. Ihr fehlte die Energie, um eine Illusion zu kreieren. Heute Abend drehte sich alles um die Wahrheit. Um Echtheit.
Anschließend schob sie sich einen Stuhl zurecht, mit Blick auf die Loggia, die den Sonnenuntergang über dem Tyrrhenischen Meer einrahmte, und rief vom Handy aus Connor und Erin an.
Erin ging ran. »Hallo?«
Tam zuckte zusammen. Im Hintergrund machte Rachel Radau – einen Höllenradau. »Hi, Erin. Ich bin’s. Wir sind gerade angekommen. Wie läuft es?«
Erin klang resigniert. »Einigermaßen«, sagte sie. »Sie ist eine harte Nuss, aber irgendwann muss sie einlenken.«
So wie sie Rachel kannte, hatte Tam da so ihre Zweifel, aber es brachte nichts, das zu sagen. Lieber sollte Erin das Beste hoffen. »Hat sie geschlafen? Oder irgendetwas gegessen?«
»Nein und nein. Sie streikt. Warte kurz, dann sehe ich mal, ob sie mit dir sprechen möchte. Sie ist nämlich auch in einem Sprechstreik. Komm, Süße, beruhige dich. Möchtest du mit deiner Mama reden?«
Rachel verstummte überrascht, dann stieß sie einen herzzerreißenden Wutschrei aus, weil sie verlassen worden war.
Oh, Scheiße. Tam sackte in sich zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen. Es tat ihr so leid für Rachel, für sich selbst und am meisten für Erin, Con und Sveti, die inzwischen dunkle Schatten unter den Augen haben mussten. Niemand wusste besser als Tam, wie anstrengend eine aufgebrachte Rachel sein konnte.
Erin kam wieder ans Telefon. »Wie es scheint, hat sie keine Lust, zu plaudern.« Sie hörte sich erschöpft an. »Wir hatten auch einige gute Momente. Sie ist ein liebes Kind, aber du fehlst ihr.«
»Erin, es tut mir leid.« Tam fühlte sich hilflos und schuldig. Sie vermisste Rachel wie verrückt, und in diesem Moment haute es sie um.
»Es ist nicht deine Schuld. Ich verstehe dich, und wir werden es alle überleben.«
Eine Unterhaltung war unter den gegebenen Umständen unmöglich, darum machten sie Schluss. Mit dem Gesicht in den Händen grübelte Tamara, wie lange dieses entsetzliche Drama wohl andauern würde – und ob Rachel es überstehen konnte.
Sie muss , sagte sie sich. Sie muss einfach .
Val berührte ihre Schulter, und Tam fuhr zusammen. »Verdammt, hast du mich erschreckt.«
» Perdonami «, murmelte er. »Schlechte Nachrichten?«
Tam zuckte die Achseln. Sie fühlte sich überfordert. »Rachel ist unglücklich«, antwortete sie ehrlich. »Genau wie jeder in ihrem Umfeld. Keine große Überraschung.«
Val schwieg einen Moment. »Das tut mir leid.«
Tam stand auf und kehrte ihm den Rücken zu. »Und du bist froh, Tausende Kilometer weit weg zu sein.«
Er war klug genug, sie ungestört vor sich hinbrüten zu lassen, und zog sich an. Sie beobachtete ihn nicht dabei, wie er seine spektakuläre Nacktheit verhüllte. Das geduschte, rasierte, gekämmte, parfümierte, in Designerklamotten steckende, umwerfende Endprodukt war Herausforderung genug für ihre Nerven. Beim Anblick der nackten Version war es komplett um sie geschehen.
Er führte sie in ein Restaurant aus, das er gut zu kennen schien, da er sie zielstrebig durch die steilen, gewundenen Gassen lotste und sie beide bei ihrer Ankunft ehrerbietig empfangen wurden. Das Lokal war klein und abseits gelegen, aber ruhig und zauberhaft. Das Essen und der Wein entpuppten sich als ausgezeichnet, wenngleich Val Tams Wahl – grüner Salat, gegrilltes Gemüse und Fisch – mit düsterer Missbilligung quittierte.
»Das reicht nicht«, knurrte er. Er versuchte, ihr ein bisschen von seinen tagliolini alla boscaiola und eine Scheibe seiner riesigen, blutigen Portion tagliata di manzo unterzuschieben.
Netter Versuch, dachte sie, als sie das Nest öliger, mit Knoblauch gewürzter hausgemachter Pasta und das rosarote zarte Fleisch musterte, das er auf ihren Teller geladen hatte. Aber er konnte sie nicht zum Essen zwingen. Mit dem Wein hatte er mehr Glück, und er sorgte dafür, dass ihr Glas immer randvoll war.
»Willst du mich betrunken machen?«, fragte sie.
Val zuckte die Schultern. »Ich will, dass du dich entspannst. Funktioniert es?«
»Nein. Ich entspanne mich nie. Übrigens kann ich es dir gleich sagen, damit du Zeit hast, dich damit abzufinden. Es wird heute Nacht keinen weiteren Sex geben. Überhaupt keinen. Also vergiss es, okay? Und schau mich nicht mit diesem Blick an. Ich will ihn nicht in deinem Gesicht sehen.«
Aber er gehorchte nicht. Sein sinnliches, atemberaubendes Lächeln machte keine
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