Stunde der Vergeltung (German Edition)
machte sich rasch bettfertig und schlüpfte unter die zerknitterte Decke. »Wie sieht der Plan für morgen aus?«
»Wir haben um halb elf eine Verabredung mit Donatella Amato und Ana Santarini in Anas Haus in der Nähe von Positano. Wir werden unser weiteres Vorgehen davon abhängig machen, was Henry uns morgen erzählt, und von unseren eigenen Beobachtungen.«
Ein Frösteln überlief sie, als die Vergangenheit ihr wie ein kalter Leichenfinger über den Nacken strich. Dann begann Val, sich auszuziehen, und jeder halbwegs klare Gedanke verflüchtigte sich aus ihrem Kopf.
»He!«, entfuhr es ihr. »Janos!«
Er zog seine muskelbepackten Arme aus den Ärmeln seines Hemds und legte es ab. »Nenn mich um Himmels willen Val. Si ?«
»Ich möchte allein schlafen«, forderte sie. »Das sagte ich dir bereits.«
In gespielter Bestürzung blickte er sich im Raum um. »Aber es gibt nur ein Bett.«
»Und wessen Schuld ist das? Ich habe das Zimmer nicht gebucht.«
Er entledigte sich seiner Hose und behielt nur den schwarzen Slip an, unter dem sich die Kontur seiner Männlichkeit abzeichnete. Sie riss den Blick los.
»Aber ich wollte gerade dieses Zimmer. Ich wollte für dich die wundervolle Aussicht und die Loggia.« Er schenkte ihr ein freches »Find dich damit ab«-Grinsen und schlüpfte neben ihr ins Bett. »Sei ganz beruhigt. Ich werde dich nicht belästigen.« Er streckte seinen langen Körper aus und verschränkte die Arme unter dem Kopf. »Entspann dich und schlaf. Du musst morgen alle fünf Sinne beisammen haben, wenn wir diese Santarini treffen.«
Tam lehnte sich an das Kopfteil und zog die Knie an die Brust. »Ich bin ihr schon mal begegnet.«
Val setzte sich wie von der Tarantel gestochen auf. »Ihr kennt euch?« Er klang vollkommen schockiert. » Che cazzo dici? Wie schrecklich! Das hast du mir nicht gesagt!«
»Du hast nicht danach gefragt.«
»Wird sie dich wiedererkennen?«, fuhr er sie an. »Wir dürfen nicht riskieren … «
»Nein. Sie wird mich nicht erkennen. Das war vor sechzehn Jahren. Ich hatte Babyspeck, kürzere Haare, eine andere Nase. Ich habe mehrere plastische Operationen hinter mir. Meine Augenfarbe wird eine andere sein. Ich strahle eine andere Energie aus, und Ana ist so egomanisch, dass sie die Verbindung niemals herstellen wird.«
Einigermaßen besänftigt lehnte Val sich zurück. »Hmm. Woher kennst du sie?«
Diese Frage stand auf Tams kurzer Liste absoluter Tabuthemen, aber sich jetzt zu weigern, darüber zu sprechen, kam ihr kindisch vor. Sie hatte Val im Restaurant schon andere Details aus ihrer Vergangenheit anvertraut, ohne zusammenzubrechen oder einen Stress-Flashback zu erleiden. Dem Himmel sei Dank.
Tam nahm sich zusammen. Sie würde das hier durchziehen. Gelassen und methodisch. Sie konnte ihm die Abfolge der Geschehnisse erzählen, wie sie sich zugetragen hatten. Ohne Abschweifungen, ohne Ausschmückungen.
»Ich war ein paar Monate Stengls Geliebte.«
Val wurde stocksteif. Langsam drehte er sich zu ihr um und starrte auf sie runter. Völlig fassungslos.
»Seine Geliebte?«, echote er. »Nach allem, was er … trotz deiner Familie … «
»Mein Vater wurde an jenem Tag sofort mit den restlichen Männern und Jungen erschossen.« Mit bleierner Stimme gab sie die Fakten wieder. »Meine Mutter, meine kleine Schwester und ich wurden nach Sremska Mitrovica gebracht – in das Konzentrationslager. Es war ein versifftes Drecksloch. Irina starb als Erste an irgendeiner Grippe. Der Durchfall besiegelte ihr Schicksal. Dann starb meine Mutter, auch wenn ich nicht sicher bin, ob wirklich die Grippe sie dahinraffte. Ich denke, sie hatte einfach genug.«
»Oh, Tamar«, wisperte er. »Das wusste ich nicht. Es tut mir unendlich leid.«
»Irgendwie wurde er auf mich aufmerksam«, fuhr sie entschlossen fort. »Ich habe keine Ahnung, wie irgendjemand mich zu der Zeit anziehend finden konnte, denn ich starrte vor Schmutz. Wir durften dort nie duschen. Aber Stengl hat mich bemerkt. Er holte mich raus und brachte mich nach Titograd. Er sperrte mich in ein Hotelzimmer, um sich nach Feierabend mit mir zu amüsieren. Es gab niemanden mehr, dem aufgefallen oder wichtig gewesen wäre, was mit mir geschah. Sie waren alle tot.« Tam starrte auf ihre Hände, befingerte das Laken. »Ich war wochenlang in diesem Zimmer eingeschlossen. Vielleicht Monate. Ich war völlig paralysiert, hatte jedes Zeitgefühl verloren.«
Val rollte sich wieder auf die Seite und stützte den Kopf auf die Hand.
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