Stunde der Vergeltung (German Edition)
Bindeglied zu den schlimmsten Albträumen ihrer Vergangenheit. Trotzdem empfand sie nichts, während sie das eingefrorene Bild studierte. Wie seltsam. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung der beiden Männer.
»Sei vorsichtig«, warnte Henry Val gerade leise. »Es hat sich herumgesprochen, dass du Persona non grata bist. Man hat eine Belohnung ausgesetzt für Informationen darüber, wo du bist oder auch nur warst. Halte dich nie lange am selben Ort auf.«
Vals Miene war verschlossen. »Nur so lange, bis getan ist, was getan werden muss.«
Berne schob ein anderes Blatt Papier über den Tisch. »Komm heute zu dieser Adresse in Salerno. Ich habe ein paar Leckerbissen für dich organisiert. Ich hoffe, du verfügst über ausreichend Bargeld. Der Kerl ist nicht billig.«
»Das ist das geringste Problem.« Val steckte den Zettel in sein Sakko. »Danke. Sobald wir diese Sache abgeschlossen haben, werde ich dich kontaktieren, um mit dir die Details unseres nächsten Abenteuers zu planen.«
»Ich kann es kaum erwarten.« Berne wandte sich Tam zu und bedachte sie mit einem wissenden Grinsen, das sie ärgerte. Für wen hielt er sich eigentlich? Was bildete er sich ein, über sie zu wissen, nur weil er sie angaffte? Sie schenkte ihm ein süffisantes Lächeln, und seine Miene wurde ausdruckslos.
Sie mochte ihn nicht, aber das hieß nicht viel, da sie Männer im Allgemeinen nicht mochte. Mit Ausnahme der McCloud-Gang. Wobei »mögen« der falsche Ausdruck war, wenn man überlegte, wie oft sie ihr auf die Nerven fielen. Richtiger wäre, dass sie ihnen vertraute – was vermutlich zwangsläufig mit Mögen einherging.
Val hingegen mochte sie wirklich – was vermutlich zwangsläufig mit Vertrauen einherging.
Gott möge ihr beistehen. Sie fing tatsächlich an, diesem Mann zu vertrauen. Sie erschauderte. Dieser emotionale Kram war viel zu kompliziert für ein kaltes Miststück wie sie.
»… zu gehen? Es wird Zeit aufzubrechen, Tamar.«
Sie konzentrierte sich wieder auf die beiden Männer, die sie beunruhigt anschauten. Berne stand auf, schenkte Tam ein knappes Nicken und gab Val einen Klaps auf die Schulter. »Nimm dich in Acht, Kumpel«, murmelte er.
Nimm dich in Acht, ha-ha. Nimm dich in Acht vor was? Tam beobachtete mit unfreundlichem Gesicht, wie der Kerl das Gebäude verließ.
»Du vertraust ihm?«, fragte sie Val leise.
Er sah sie schief an. »Ja. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet. Und ich habe mich revanchiert. Wir sind seit Jahren befreundet.«
»Trotzdem hast du ihm nicht verraten, in welchem Hotel wir bleiben.«
»Das hat nichts mit ihm zu tun.« Val zuckte die Achseln. »Ich bin aus Gewohnheit vorsichtig. Außerdem halte ich die Dinge gern so einfach wie möglich. Das verkürzt den Eliminierungsprozess und ihn schützt es ebenfalls. PSS ist sein Leben.«
»Aber deins nicht?«
Ohne zu lächeln erwiderte er ihren Blick. »Nein.«
Es war ein perfekter Tag für eine Fahrt auf den Serpentinenstraßen der Amalfiküste. Tam verspürte ein seltsames Ziehen, eine ungekannte Sehnsucht, aus der Zeit herauszutreten und Urlaub von der Realität zu machen. Sie hätte gerne die Chance, tief durchzuatmen und diesen Mann, diese Kulisse zu genießen. Selbst jetzt im Winter lag ein strahlendes Flimmern in der Luft. Die Landschaft schien von Licht durchdrungen – die hellen, zerklüfteten Felsen, die buschigen, silbergrünen Gewächse darauf, die terrassenförmig angelegten Gärten, die alten weißen Dörfer, die abschüssig über dem Meer hingen.
Doch die Zeit raste erbarmungslos dahin. Allzu bald erreichten sie das Haus von Ana Santarini. Es war eine exquisit restaurierte masseria aus der Renaissance, die auf einem Hügelkamm thronte, mit Blick über das Meer. Ein schmiedeeisernes Tor fuhr summend auf, um sie einzulassen, dann folgten sie einer von antikem Mauerwerk gesäumten Straße. Zur einen Seite fiel das Grundstück senkrecht zum strahlend blauen Meer hin ab, auf der anderen befand sich ein Hain jahrhundertealter Olivenbäume, von denen jeder wie ein knorriger Kobold aussah.
Dieses Flittchen Ana lebte nicht schlecht, überlegte Tam. Allerdings müsste man zuerst einen Blick auf ihren Mafioso-Ehemann werfen, um beurteilen zu können, ob es die Sache wert war.
Ein vierschrötiger Mann mit grimmigem Gesicht stoppte sie am Ende der Einfahrt, unterzog sie einer kurzen Überprüfung und zeigte ihnen, wo sie parken sollten. Er geleitete sie ins Haus, dann ließ er sie in einem großen,
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