Stunde der Vergeltung (German Edition)
Nacht befand. Er versteckte sich an irgendeinem unbekannten Ort in den Bergen, mehrere Kilometer von der Hauptküstenstraße entfernt – in dem Irrglauben, einen sicheren Unterschlupf gefunden zu haben. Die Vorstellung verlieh András ein angenehmes Gefühl von Macht.
Gut. Es war alles gut. Die Sache wurde allmählich so einfach, dass sie womöglich nicht mal mehr eine lohnende Herausforderung war, sinnierte er mit leiser Belustigung. Doch in diesem Fall zog er eine schnelle Lösung der Herausforderung vor. So oder so würde er in einem guten Licht dastehen. Seine Arbeit hier war beendet.
András nahm den Laptop, verstaute ihn und stand auf. Er schaute auf Hegel hinab und überlegte, ob es irgendeinen Grund auf der Welt geben könnte, ihn zu verschonen, ganz gleich welchen. Der andere Mann las den Tod in seinen Augen und hob die Hand, um ihn abzuwehren. András hatte diese klassische Geste schon viele Male gesehen.
»Da ist noch mehr«, stammelte Hegel hastig.
András tastete nach dem Messer in seiner Tasche. »Mehr? Was meinst du damit?«
»Töte mich nicht. Hilf mir, von hier wegzukommen, von Georg, dann erzähle ich dir alles, was ich … «
»Versuch nicht, mit mir zu verhandeln, du Narr«, unterbrach András ihn. »Du wirst mir jetzt sofort alles erzählen, was du weißt, andernfalls schneide ich dir den Schwanz ab und stopfe ihn dir in den Hals, dass du daran erstickst. Also, was hast du sonst noch?«
Hegel schluckte mehrfach. »Das Kind«, krächzte er.
András sah stirnrunzelnd zu ihm runter. »Was für ein Kind?«
»Sie hat ein Kind. Steele. Sie hat ein Mädchen adoptiert. Drei Jahre alt.«
András begann zu grinsen. Oh, ja. Das würde den alten Mann sehr glücklich machen. »Wo ist es?«
»Ich weiß es nicht genau. Sie ist vor drei Tagen auf den Überwachungskameras des Flughafens in Seattle aufgetaucht. Ich hatte drei Männer auf Janos angesetzt, um Steele und das Kind aufzuspüren. Er hat die Männer liquidiert, sich Steele und das Kind geschnappt, und von da an weiß ich nur noch, dass er allein mit Steele in Portland ein Flugzeug bestiegen hat. Irgendwo zwischen Seattle und dem Portland International Airport haben sie das Mädchen abgesetzt. Ich habe ein wenig archiviertes Material aus der Nacht dazwischen, daher weiß ich, dass Janos sie in einem Luxusresort zwischen Tacoma und Seattle verbracht hat«, brabbelte Hegel weiter. »Ein Hotel namens Huxley. Ich nehme an, sie haben das Kind während ihres Aufenthalts dort in die Obhut von jemandem gegeben, allerdings habe ich nicht weiter nachgeforscht, weil Luksch nur Steele verlangt hat. Sonst niemanden.«
András setzte sich auf den Stuhl und nagte an der Innenseite seiner Lippe.
»Das Mädchen, es hat dunkle Locken«, plapperte Hegel mit unüberhörbarer Verzweiflung in seiner Stimme weiter – so klang ein Mann, der keine Trümpfe mehr in der Hand hielt. »Sie ist klein, sehr dünn für ihr Alter. Und extrem … «
Die schallgedämpfte Glock trieb eine Kugel zwischen Hegels Augen. Der Mann wurde in sein Kissen gedrückt, dann starrte er mit leerem Blick in die Luft.
»Danke«, sagte András freundlich.
Er betrachtete sein Werk für einen Moment. Dem zusammengesackten Körper auf dem Bett mangelte es an dramatischer Wirkung. Er sollte ihn unbedingt künstlerisch in Szene setzen. Auch wenn ihm die Zeit fehlte, wirklich kreativ zu werden, aber der Boss wusste eine persönliche Note immer zu schätzen.
András schüttelte sich die Jacke von den Schultern, um sie vor Blutflecken zu schützen, dann ließ er seinen Koffer aufschnappen, nahm eine kleine Säge sowie ein Paar reißfeste Gummihandschuhe heraus. Wenige Minuten später war er relativ zufrieden mit dem künstlerischen Effekt: Hegels Kopf lag mittig auf dem blutdurchtränkten Kopfkissen, die abgetrennten Hände waren fromm unter seinem Kinn gefaltet. Er schoss ein Foto mit dem Handy, verschlüsselte es und schickte es an seinen Boss. Der alte Mann brauchte eine Aufmunterung. Er hasste es, zu warten.
András hörte ein unidentifizierbares Geräusch, drehte sich um und sah, dass der Mann im anderen Bett wach war und ihn mit hervorquellenden Augen anglotzte.
Automatisch richtete András die Waffe auf die Stirn des Patienten, dann hielt er inne, als er dessen schiefen Mund und seine verstümmelten Sprechversuche registrierte. Schlaganfall. Sein eigener Großvater hatte einen Schlafanfall erlitten, als András ein Kind gewesen war. Er erinnerte sich noch immer an die entsetzte
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