Stunde der Vergeltung (German Edition)
ausschweifenden, einseitig geführten Gesprächen hatte Novak Imre seine favorisierten Techniken, um maximale Qual zu erzeugen, im Detail dargelegt. Der Tod war dem vorzuziehen. Übelkeit überwältigte ihn. Er durfte nicht ohnmächtig werden. Bloß nicht. Er hatte nur eine Chance. Eine einzige.
Sie zerrten ihn in Novaks Bibliothek. Durch die Buntglasfenster fiel grellbuntes Licht herein und kontrastierte mit dem warmen Schimmer der Holzvertäfelung. Sie stießen ihn mit einer Brutalität auf den Stuhl vor dem Computer, dass es Imre die morschen Knochen stauchte und er vor Schmerz aufkeuchte.
Novak wartete bereits auf ihn. Grinsend setzte er sich neben Imre. »Unser Freund hat uns einen weiteren saftigen Leckerbissen geschickt. Hast du Lust, ihn noch einmal in Aktion zu erleben? Um der guten alten Zeiten willen? Er ist so talentiert, unser Vajda. Sieh es dir an, mein Freund, sieh es dir an. Gregor, spiel es ab.«
Gregor klickte mit der Maus, bis das Video als Vollbild auf dem großen Monitor erschien.
Imre sah schicksalsergeben hin, nachdem er beim letzten Mal erfahren hatte, dass es nicht geduldet wurde, wenn er wegschaute. Er hatte noch immer Hämatome an den Armen von Novaks grausam starken Fingern, seinen dicken, gelben Nägeln.
Ein Schlafzimmer, diffus erhellt von blassem Morgenlicht. Ein Mann und eine Frau, die sich im klassischen Rhythmus des Liebesspiels miteinander auf dem Bett bewegten, sie rittlings auf ihm. Die Kamera fing das bezaubernde Profil der Frau sehr klar ein, ihren grazilen Rücken, die Sanftheit, mit der sie die Hände um Vajdas Gesicht legte.
Vajdas Miene zeigte einen Ausdruck, von dem Imre nicht erwartet hätte, ihn je an ihm zu sehen. Er nahm die Hände der Frau und hob sie an seine Lippen. Imre schaute ihnen mit wachsendem Staunen zu. Dies war keine Pornografie.
In Wirklichkeit war auch schon das frühere Material nicht pornografisch gewesen, aber dieses hier noch weniger. Es war voller Zärtlichkeit. Imre fand sie in jeder Geste. Als Konzertpianist hatte er sich sein ganzes Leben intensiv in der Kunst geübt, mit jeder Geste, jedem Satz echte Emotionen, wahre Zärtlichkeit zu vermitteln. Er erkannte den Unterschied auf den ersten Blick. Er fühlte ihn in seiner Brust, seinem Bauch. Dies war ungekünstelte Intimität. Eine Intimität, die gekidnappt und zur Geisel gemacht worden war.
Ihn überkam das Bedürfnis, zu weinen, angesichts der schrecklichen Ironie des Ganzen. Sein Vajda liebte diese Frau, ausgerechnet diese eine. Dies war Vajdas Chance, das zu haben, was Imre gehabt hatte, während dieser kurzen, wundervollen Jahre mit Ilona. Sieben Jahre der Liebe, gefolgt von der Dankbarkeit, dass ihm wenigstens das vergönnt gewesen war – ungeachtet der Einsamkeit, der Stille. Des Wartens.
Er würde nicht zulassen, dass diesem armen Jungen das genommen wurde. Man hatte Vajda schon um so vieles betrogen. Imres Zweifel waren verschwunden. Diese Sache würde aus Liebe, nicht aus Angst geschehen.
Der harte, doch so empfindsame Vajda. Sohn seines Herzens. Tränen sickerten aus seinen Augen, rannen über seine Wangen. Imre machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Was für ein jämmerliches Wrack, dachten seine Folterknechte wahrscheinlich.
Er sah auf und erblickte Ilona, die ihn von der anderen Seite des Computertisches anlächelte. Ein Engel, unberührt von der Verderbtheit dieses Ortes. Sie trug ihr altes blaues Hauskleid und eine Strickjacke. Ihr süßes Gesicht strahlte vor Stolz. Sein Herz hüpfte bei ihrem Anblick vor Freude. Es würde nun nicht mehr lange dauern.
Er holte tief Luft. Möge Gott sich seiner Seele erbarmen.
Novak saß vor dem Computermonitor und grinste, als die Pixel sich zu einem scharfen Bild verdichteten.
»Sie haben die Aufzeichnung erhalten?«, fragte Val mechanisch.
»Ja, natürlich. Sehr bewegend, äußerst romantisch. Wenngleich mir persönlich die Dynamik der ersten Begegnung besser gefallen hat«, sagte Novak. »Vielleicht könntest du beim nächsten Mal ein wenig Abwechslung in die Darbietung hineinbringen?«
Stumm vor ohnmächtigem Zorn saß Val da und schaute ihn an. Novak erwartete, dass er sich dafür entschuldigte, sexuell nicht unterhaltsam genug gewesen zu sein. Reglos starrte er in das schwarze Auge der Kamera.
Novak machte ein ungeduldiges Geräusch. »Nun gut«, meinte er schließlich. »Ich werde dich mit deinem Freund sprechen lassen. Er fasziniert mich, weißt du, auch wenn er sich gegen Unterhaltungen sträubt. Komm, verrücke
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