Stunde der Vergeltung (German Edition)
dringend ein geregeltes Leben benötigte. Sie musste ihr Zuhause aufgeben, ihren Namen, ihr Kindermädchen, womöglich sogar ihre Sprache, je nachdem wohin es sie verschlagen würde. Und es würde nicht gerade lustig werden, eine Dreijährige auf ein höchst belastendes, illegales Abenteuer quer durch alle Kontinente mitzuschleifen.
Trotzdem konnte Tam niemand anderem als sich selbst die Schuld daran geben, dass ihr Leben über alle Maßen kompliziert geworden war. Genug gejammert.
Sie packte so viele ›Tödliche-Schönheit‹-Kreationen ein, wie in den Transportkoffer hineinpassten, den sie ins Shibumi mitgenommen hatte. Nicht dass sie je wieder etwas davon verkaufen könnte, ohne ihren Feinden ihren Aufenthaltsort mit einem Fanfarenstoß zu verraten. Sie würde die Fahrt zum Flughafen nutzen, um sich einen brillanten Plan einfallen zu lassen, wie sie sie loswerden könnte. Sie durfte es nicht riskieren, sie mit an Bord zu nehmen, zumindest nicht die Stücke, in denen sich Messer verbargen. Wenn sie sie in dem Gepäck verstaute, das sie aufgeben wollte, würde es durchleuchtet werden, und die Gefahr einer näheren Überprüfung durch einen Flughafenmitarbeiter war einfach zu groß.
Sie packte ihre persönlichen Favoriten in ihr Handgepäck, nachdem sie die Exemplare, die mit Sprengstoff ausgerüstet waren, aussortiert hatte. Flughäfen und explosive Substanzen waren eine schlechte Kombination. Sie nahm nur ein paar mit Schlafmitteln, giftigen Nadeln und Sprays bewehrte Stücke für den Eigenbedarf mit. Die Menge an gefährlichen Substanzen darin war gering genug, um sie durch die Sicherheitskontrolle schleusen zu können. Sie hatte sie bewusst so entworfen. Eine Reise konnte Gefahren bergen. Eine Frau brauchte jederzeit Optionen.
Jetzt der Computer. Getrocknete Tränen prickelten auf ihren Wangen, als sie die erstbesten Tickets buchte, die sie finden konnte. Von Seattle nach Hawaii, von Hawaii nach Auckland. Ausreichend für den Moment. Nett und weit weg. Sie und Rachel konnten an einem warmen Strand spielen und sich als Kiwis ausgeben. Sie klappte den Laptop zu und packte ihn ein.
Tam lud alles in die Rentnerkarre – ein antiquierter, hässlicher beigefarbener Ford Taurus, den ein Freund der McClouds, der Computerfreak Miles, ihr vor einiger Zeit verkauft hatte. Gesichtslose Autos waren manchmal sehr nützlich.
Und nun zum schwierigen Teil. Sie musste Rachel wecken, sie aus ihrem warmen Bett zerren, ankleiden und zu dieser gottlosen nächtlichen Stunde in den Wagen verfrachten. Es wäre für jeden eine Qual, erst recht für ein Kleinkind.
Rachel zeigte sich so wenig glücklich darüber, wie Tam es erwartet hatte, doch nachdem sie das Mädchen erst einmal in seinem Sitz festgeschnallt hatte, war das Schlimmste überstanden. Es gab nichts, das eine Frau am Steuer besser wach und aufmerksam hielt, als ohrenbetäubende Wutschreie. Und zufällig verhinderten sie auch jeden Impuls, einen nostalgischen Blick zurückzuwerfen, während das, was seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr einem Zuhause am nächsten gekommen war, in der Ferne verschwand.
Wieder zurück auf Anfang. Wie ermüdend. Und sie konnte diesem beschissenen Scheißkerl noch nicht mal Rache geloben.
Ihr Magen brannte, ihre Brust war eng, ihre Kehle schmerzte. Sie hatte sich für unabhängig gehalten, doch sie brauchte einen Bolzenschneider, um sich von alldem hier zu trennen. Schnipp-schnapp , und das Blut spritzt.
Nach einer halben Stunde hatte Rachel sich in einen erschöpften Schlummer gekreischt, und Tam genoss die gesegnete Stille. Ihr blieben weniger als zwei Stunden, um sich einen Plan einfallen zu lassen, wo sie ihren Schmuck hinterlassen könnte, außer im Kofferraum des Wagens, den sie auf dem Langzeitparkplatz abstellen würde. Es gab schlechtere Verstecke. Sie hatte nicht die Zeit, sich ein anderes zu überlegen und trotzdem den Flieger zu erwischen.
Entweder würde sie ihn irgendwann zurückholen oder eben nicht. Vergiss ihn einfach . Es waren ja nur ein paar hunderttausend Dollar, investiert in reines Gold, Platin, kostbare Edelsteine und kreative Designs, für deren Entwicklung sie Jahre ihres Lebens aufgewendet hatte. Keine große Sache. Schnipp-schnapp mit dem Bolzenschneider. Lass los .
Rachel schlief, als sie den Flughafen erreichten. Tam legte sie in den Kinderwagen und sah zu, wie ihr Atem kleine Dampfwölkchen vor ihrem blassen Gesicht bildete, während sie auf den Shuttlebus warteten. Er ließ sich Zeit um diese
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