Stunde der Wahrheit
Sie betrachtete sein Gesicht, das zur Hälfte im Schatten lag und an einigen Stellen geschwollen war und fragte sich, ob sie nicht doch Angst vor ihm haben sollte? Er hatte ihr jetzt zwei Mal das Leben gerettet, aber das bedeutete nicht, dass er
jetzt
nichts Böses im Sinn hatte. Warum sollte er ihr auch sonst auf einer verlassenen Baustelle auflauern? Sie wich vor ihm zurück und registrierte ein Aufblitzen in seinen Augen.
»Ahhh, endlich scheinst du Vernunft anzunehmen. Du bist ganz allein mit mir auf dieser Baustelle und glaub mir, ich hätte dich schneller überwältigt, als du schreien kannst. Du solltest mir also wirklich zuhören.« Ihr Blick ging unwillkürlich zu einem kleinen mit Schutt beladenen Wagen, der nicht weit von ihr stand. Sie machte einen Satz nach links und lief auf die andere Seite des Fuhrwerks, um es zwischen sich und Eric zu bringen. Dieser sah ihr einen Moment vollkommen verblüfft nach, dann fragte er:
»Was zum Teufel soll das werden?« Er kam auf sie zu geschlendert und blieb ihr gegenüber stehen. Dabei ließ er seinen Blick abschätzend über den Wagen gleiten, als überlege er, einfach darüber hinweg zu springen.
»Immer, wenn du mir irgendetwas erzählen willst, machst du es nur noch schlimmer. Also egal, was es ist, ich will es nicht hören.« Er ging langsam um den Wagen herum und ließ sie dabei nicht aus dem Blick. Emma lief in die entgegengesetzte Richtung bis zur Motorhaube und fixierte ihn ihrerseits mit den Augen. Als er ruckartig stehen blieb, tat sie es auch.
»Und du glaubst, das würde dir genug Vorsprung verschaffen, um vor mir wegzurennen?« Er schenkte ihr ein überhebliches Lächeln und Emma wusste, dass er Recht hatte. Nicht nur, dass sie nicht unbedingt die schnellste Person war, ihr bodenlanges Kleid und die Absatzschuhe schränkten sie darüber hinaus erheblich in ihren Bewegungen ein. So oder so, sie würde ihn niemals abschütteln können. Resigniert seufzte sie.
»Also, was willst du?« »Dass du mich begleitest. Zu mir nach Hause.« Sie starrte ihn an und wartete auf die Pointe des offensichtlich gemeinten Scherzes, doch er sagte nichts weiter und genoss ihre Verwirrung.
»Du hast getrunken, oder?«, fragte sie schließlich und musste verunsichert lachen. Dabei versuchte sie seinem Gesicht zu entnehmen, ob er es ernst meinte oder sie nur aufziehen wollte. Hätte sie doch nur nicht ihr Handy vergessen. Dann hätte sie sich ein Taxi vor das Hotel bestellen können und wäre erst gar nicht in diese verquere Lage gekommen. Sie hätte natürlich auch von Ryans oder Annabells Handy aus anrufen können, wie ihr nun einfiel, aber in ihrer Aufregung hatte sie nicht daran gedacht und woher hätte sie auch wissen sollen, dass man sie vom Hotel zur Bushaltestelle aus abfangen könnte?
»Willst du mir vielleicht auch erklären, warum ich mit dir gehen soll?«, fragte sie und stützte ihre Arme auf der Motorhaube ab. Sie wollte lässig wirken und zeigen, dass sie keine Angst vor ihm hatte - was sicher imposanter gewesen wäre, wenn sie wirklich vor ihm gestanden und sich nicht hinter einem Bauwagen versteckt hätte. Vollkommen unerwartet macht er einen Satz zur Seite und flitzte um das Auto herum. Emma reagierte viel zu spät und rannte erst los, als er sie schon fast erreicht hatte. Zu allem Überfluss verhedderte sie sich auch noch in dem langen Kleiderstoff und wäre zu Boden gegangen, wenn er sie nicht in diesem Moment gepackt hätte. Sie schätzte, dass sie einfach zu überrascht gewesen war, um daran zu denken, ihr Kleid zu raffen – nicht, dass sie ihm dadurch entkommen wäre. Er riss sie herum und drückte sie an die harte Betonwand hinter ihr, was ihr die Luft aus den Lungen presste.
»So viel zu deinem Plan, abzuhauen«, sagte er und blickte düster auf sie herab.
»Lass mich los. Ich werde jetzt nach Hause gehen«, sagte sie atemlos. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch er bog ihr die Arme auf den Rücken und machte sie damit bewegungsunfähig. Er seufzte gespielt.
»Emma, mach jetzt keine Schwierigkeiten und begleite mich einfach.« Sie wehrte sich heftiger.
»Nein, verdammt. Lass mich los!« Sie hob ihre Stimme, um ihm zu signalisieren, dass sie es ernst meinte. Sie würde um Hilfe schreien, wenn es sein musste.
»Schhhh«, machte er.
»Ganz ruhig. Ich werde dir alles erklären, aber nicht hier.«
»Wird das etwa eine Entführung?«, fragte sie und stellte ihre schwachen Befreiungsversuche ein. Wenn sie so weiter machte, würde
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