Stunde der Wahrheit
gewesen, wenn ich dich besucht hätte, um Smalltalk zu halten. Dann habe ich gesehen, dass Emma bei dir war und schon hatte ich den perfekten Vorwand. Ich tat, als wäre ich gekommen, um dich zu provozieren, so wie Liam es von mir erwarten würde. Ich wollte nur eine überzeugende Show liefern.«
»Und du warst überzeugend, sehr sogar!«, warf Emma vorwurfsvoll ein, was seine Mundwinkel zucken ließ.
»Es war natürlich nicht geplant, dass wir uns prügeln und fast vom Dach werfen, aber so konnte Liam wenigstens nicht misstrauisch werden.
»Das heißt also …«, begann James, doch sein Bruder beendete den Satz für ihn.
»Dass ich dir mit unserer kleinen Prügelei einen perfekten Vorwand geliefert habe, um von der Party zu verschwinden - ohne dass dir jemand folgt. Und Emma konnte ich von dort fortschaffen, ohne dass Liam denkt, du steckst mit ihr unter einer Decke. Ich gebe zu, dass das meiste davon improvisiert war, aber es hat funktioniert, oder?«, fragte Eric sichtlich stolz.
»Und du bist sicher, dass du mich nicht irgendwie hättest einweihen können? Ich hätte dich immerhin beinahe umgebracht!«, sagte James vorwurfsvoll. Doch Eric winkte ab.
»Mir blieb wohl kaum Zeit dazu. Ich war selbst überrumpelt, als ich Liams Männer gesehen habe. Außerdem war es so viel realistischer.« Emma schüttelte den Kopf, musste aber zugeben, dass, so skurril seine Umsetzung auch gewesen war, er ihr und James damit womöglich das Leben gerettet hatte. Was sie zu ihrer nächsten Frage brachte:
»Was will Liam überhaupt? Will er uns umbringen, quälen? Warum hat er es auf James abgesehen und warum will er unbedingt verhindern, dass wir zusammen sind?« Eric warf James einen langen Blick zu und sagte dann:
»Er will seine Schwester rächen für das, was wir ihr angetan haben.«
»Seine Schwester?«, wiederholte sie verständnislos.
»Aubrey«, erklärte Eric.
»Oh mein Gott«, sagte Emma und ließ sich vor lauter Schreck auf den Stuhl plumpsen.
»Das glaubt man ja wohl nicht.« Sie schwiegen eine Weile, dann fragte sie: »Und was machen wir jetzt?«
»Ihm geben, was er will«, antwortete Eric mit einem Blick auf seinen Bruder. »Und was soll das sein?«, fragte Emma.
»Genugtuung.« Emma sah von Eric zu James, dann fragte sie:
»Ist euch schon mal in den Sinn gekommen, die Polizei einzuschalten?« Daraufhin lachte Eric so laut, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Als er sich beruhigt hatte, sagte er:
»Liam ist kein gewöhnlicher Kleinstadtgangster. Er hat viele Kontakte und seine Hände überall im Spiel. Die Polizei kann uns gar nicht helfen.« Und als hätte er einen leichtsinnigen Gedanken in ihrem Gesicht abgelesen, fügte er hinzu:
»Und komm ja nicht auf dumme Gedanken. Die Hälfte der Bullen ist geschmiert, sie einzuschalten würde einer Kriegserklärung gleichkommen.« Emma maß Eric mit einem unfreundlichen Blick und gab ihm zu verstehen, wie beleidigend es war, dass er sie für so leichtsinnig hielt. Dann sagte sie:
»Als ich Aubrey das erste Mal begegnet bin, hat sie gesagt, dass sie über euch hinweg ist und euch verziehen hat. Warum verfolgt Liam euch nach den Jahren immer noch?« Eric zuckte die Schultern.
»Weil es hier um seine kleine Schwester geht. Da würde wohl jeder Bruder durchdrehen. Und
eigentlich
ist er nur hinter James her, ich habe ja zeitweise für ihn gearbeitet.« Emma sah zu James.
»Bereut ihr, was ihr getan habt?« James nickte, doch Eric meinte:
»Soll das ein Witz sein? Das waren die besten Jahre meines Lebens.«
»Du bist widerlich, weißt du das?«, sagte Emma abgestoßen. Daraufhin zwinkerte er ihr zu.
»Also ihr zwei Turteltäubchen. Ich lasse euch jetzt alleine. Ihr habt euch sicher viel zu erzählen«, verkündete er schließlich und stand auf. Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter und schlenderte zur Tür. Als er auf der Schwelle stand, kam ihm Emma nach.
»Warte!« Überrascht zog Eric die Brauen hoch. »Ja?«
»Auch wenn deine Methoden etwas fragwürdig sind, wollte ich dir trotzdem danken. Wenn du mich nicht … entführt hättest, wäre ich mit Sicherheit Liams Männern in die Arme gefallen. Also … danke.« Er lächelte und ging ohne ein weiteres Wort davon. Im selben Zug kam ein Arzt herein und sah nach James‘ Wunde. Er ließ sich einige Formulare unterschreiben und verabschiedete sich dann mit der erfreulichen Nachricht, dass er das Krankenhaus am nächsten Morgen verlassen könne. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, sagte
Weitere Kostenlose Bücher