Sturm der Barbaren
verstanden hat, und das … das bereitet mir Sorgen.«
Plötzlich eilt sie auf ihn zu und umarmt ihn – ganz fest. »Danke … ich weiß nicht, ob … aber … danke.«
Während Lorn Myryan in den Armen hält, brennen seine Augen, denn er befürchtet, dass er nicht genug für sie hat tun können.
XVI
I m kühlen Mittagslicht steht Lorn bei der Bank aus Sonnenstein vor dem Haupteingang zum Viertel der Magi’i. An der Bank lehnt eine Segeltuchtasche, in der sich Unterwäsche, Waschzeug und einige wenige persönliche Dinge befinden, darunter auch tief vergraben Ryalths altes Buch. Lorn hat versprochen, es zu lesen, und noch nicht einmal damit angefangen.
Hinter ihm leuchten die eckigen Torbögen des Eingangs in der Sonne. Das Licht, das von dem Chaosbehauenen Sonnenstein reflektiert wird, wandelt sich von Augenblick zu Augenblick, obwohl der Himmel klar und wolkenlos ist. Alle Spuren vom Regen und Hagel des Vortags sind verschwunden, nur die Mauern schimmern noch feucht an den Stellen, welche die Sonne nicht erwärmen konnte.
Während er wartet, studiert Lorn den Torbogen, der in das Hauptgebäude führt, ein Bau aus glattem Stein und getönten Fenstern. Der Bogen selbst ist völlig schmucklos, es gibt keine in den Stein gemeißelten Figuren, keinerlei Schnörkel. Überhaupt finden sich nur wenig schmückendes Beiwerk und nur ganz vereinzelt Statuen in Cyad. Die Stadt des Lichts an sich ist schon Kunst, denkt Lorn bei sich; die einzige Unterbrechung im fugenlosen Stein bilden die Worte über der Mitte des Torbogens.
»Chaos ist das Herz des Lebens; die Magi’i dienen dem Leben und dem Chaos.« Er murmelt die Worte leise vor sich hin. Wird er deshalb nie ein Magier werden, weil er sich nicht in der Lage sieht zu dienen? Blind zu dienen? Er runzelt die Stirn, doch er vergisst diese Fragen sofort beim Geräusch von schweren Schritten, die näher kommen.
Ciesrt, beinahe so schlaksig wie Lorns Bruder Vernt, jedoch breitschultriger und schwerer als dieser, geht unbeholfen auf Lorn zu.
»Sei gegrüßt«, sagt Lorn.
»Dann … wirst du also nun Lanzenkämpferoffizier?« Ciesrt lächelt nervös.
»Ich werde zur Lanzenkämpferausbildung geschickt. Ob ich Offizier werde, hängt davon ab, wie ich mich anstelle.« Lorn schließt mit einem reuigen Lächeln.
Ciesrt nickt nachdenklich. »Ich glaube, es ist nicht so wichtig, wie gut wir sind, es zählt nur, wie die Oberen unser Tun beurteilen.«
Lorn unterdrückt ein Stirnrunzeln. Eine solche Bemerkung hätte er von Ciesrt nicht erwartet. »Irgendjemand muss schließlich darüber entscheiden.«
»Du wolltest immer einzigartig sein, Lorn«, fügt Ciesrt ruhig hinzu. »Es gelingt dir ziemlich gut, das zu verbergen, aber … nicht gut genug, um die Magi’i zu täuschen. Vielleicht ergeht es dir bei den Lanzenkämpfern ja besser.« Ciesrts schmutzig grüne Augen heften sich auf Lorn. »Manchmal ist es notwendig, das Chaos tiefer als nur an der Oberfläche zu berühren.«
Lorn nickt und sagt nichts.
»Viel Glück.« Ciesrt lächelt halbherzig und dreht sich um.
»Danke.« Lorn sieht dem ungelenken Magierschüler noch eine Weile nach und fragt sich, ob es nicht doch ein Fehler war, Ciesrts Vater nicht umzubringen. Aber … er hätte sich dabei nur auf sein Gefühl stützen können und einen Mord sollte man nicht unbedingt bloß aufgrund eines Gefühls begehen. Oder doch?
Lorn fährt herum, leichtfüßigere Schritte nähern sich auf dem weißen Steinweg.
Der rothaarige Tyrsal bleibt neben der Bank stehen. »Es tut mir Leid, Lorn. Ich verstehe das nicht. Du warst der beste Schüler.«
»Es ist wahrscheinlich besser so.«
»Kann ich etwas für dich tun?« Tyrsal grinst. »Ich meine, hier in Cyad. Wenn du vorsichtig bist, kannst du selbst besser auf dich aufpassen, als ich es könnte. Ich denke immer noch oft daran, wie du es Dett damals gezeigt hast.« Der Rotschopf runzelt die Stirn. »Mittlerweile ist er wahrscheinlich schon Offizier bei den Lanzenkämpfern. Nimm dich in Acht vor ihm.«
»Das werde ich.« Lorn hält inne. »Du könntest vielleicht ab und zu meine Schwestern besuchen. Du kennst sie doch, oder?«
»Nur Myryan.«
»Jerial ist meine ältere Schwester. Sie sind beide Heilerinnen, Myryan hat jedoch noch einige Jahre Ausbildung vor sich.«
»Wie Kylernya, sie hat gerade angefangen.«
»Ist sie denn schon alt genug?« Lorn hat Tyrsals Schwester nur als kleines Mädchen in Erinnerung, das einmal bei einem ihrer Korfalspiele zugesehen hat.
Tyrsal
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