Sturm der Barbaren
höchstwahrscheinlich nicht lange genug leben, um seinen Sohn Hauptmann Lorn noch beraten zu können, sollte der junge Mann dem Schicksal entgehen können, das Ihr und Maran für ihn vorgesehen habt. Was höchst unglücklich wäre, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Kharls Lächeln beschränkt sich nur auf den Mund, es erreicht die grünen Augen nicht.
»Maran lässt keinen entwischen«, erklärt Luss. Er fährt sich über die Stirn. »So warm wie heute ist es selten. Wir sollten jetzt wieder zu unseren Vorgesetzten stoßen.«
»Maran lässt nur wenige entwischen«, verbessert Kharl. »Thiataphi ist es gelungen, aber er weiß, worum es geht. Stimmt es etwa nicht, dass er um ein Gehalt bei den Magiern gebeten hatte, bevor er für den Posten des Major-Kommandanten in Cyad in Erwägung gezogen wurde?«
Luss nickt.
»Wie denkt Rynst über diese Politik der … Verhinderung von … Lanzenkämpfer-Magiern?«, will Kharl wissen.
»Er ist nicht dagegen. Nicht solange alle ranghohen Spiegellanzenkämpfer dieses Verfahren unterstützen«, antwortet Luss. »Was ist mit dem Ersten Magier?«
»Er ist strikt dagegen, dass Chaos außerhalb des Viertels und der disziplinierten Magi’i-Kreise gehandhabt wird, darüber sind wir uns alle einig. Ausnahmslos.« Kharl lächelt. »Wir sollten nun wirklich zurückgehen und der Verkündung der Audienzergebnisse beiwohnen.«
Luss nickt ein weiteres Mal.
XXXVI
N ach dem Abendessen, das aus schwerem Hammelfleisch bestand, weichen Kartoffeln – wahrscheinlich noch von der letzten Ernte übrig geblieben – und Brot, härter als so manche barbarische Klinge, hat sich Lorn ins Offiziersarbeitszimmer zurückgezogen, wo er im Sonnenlicht des hellen Sommerabends den Patrouillenbericht noch ein letztes Mal durchgeht, bevor er ihn beiseite legt, um ihn am nächsten Morgen Oberst Zandrey vorzulegen.
Dann nimmt er die erste der an ihn gerichteten Schriftrollen zur Hand, die hier auf seine Rückkehr gewartet haben; sie stammt von Myryan. Beim ersten Lesen hat er die Zeilen nur überflogen, nun muss er sie noch einmal genau studieren. Sein Blick ist auf die anmutigen Buchstaben gerichtet.
Mein lieber Lorn,
es erscheint mir so lange her, dass wir uns gesehen haben,
tatsächlich sind es schon mehr als drei Jahre …
… habe die Ausbildung zur Heilerin fast abgeschlossen. Ich gehe jetzt jeden vierten Tag zur Krankenstation der Lanzenkämpfer und mache jeden zweiten Jag Hausbesuche … Heilen ist schwer, aber auf seine eigene Art und Weise auch lohnend. Jerial behauptete das schon vor langer Zeit, aber wir werden, glaube ich, unterschiedlich entlohnt. Vor einer Woche brachte man mir eine Heilernadel, ich weiß nur nicht, woher sie stammt. Ich kann sie noch nicht tragen, nicht vor der Zeremonie, die nächsten Achttag stattfindet. Sie ist wunderschön: grüner Lack auf Gold. Ein Bote holte sie bei Syang, dem Goldschmied, ab, aber niemand konnte mir bisher sagen, wer sie in Auftrag gegeben hat. Ich weiß nur, dass der Kauf durch ein kleines Handelshaus getätigt wurde. Es ist alles sehr seltsam und ich wünschte, du könntest bei der Zeremonie dabei sein, aber du wirst diesen Brief vermutlich erst erhalten, wenn ich schon lange eine anerkannte Heilerin bin …
Lorn macht eine Pause. Seine warmherzige, hebe, kleine Schwester – eine Heilerin. Und die goldene Nadel … er hat da so eine Ahnung, aber es ist nichts als eine Vermutung – noch.
Vernt trifft sich endlich mit einem Mädchen. Er spricht mit niemandem darüber, außer mit Vater, und ich glaube, es war Vater, der das eingefädelt hat.
… hätte dir gern ein Birnapfeltörtchen geschickt, aber sie lassen sich so schwer versenden. Früher hast du sie immer aus der Küche gestohlen und einmal auch mir eines auf mein Zimmer gebracht. Das hat noch viel besser geschmeckt …
Lorn liest Myryans Brief zu Ende und fährt sich durchs kurze, braune Haar. Was soll er ihr schreiben? Schließlich nimmt er die Bronzefeder zur Hand und taucht sie in die Tinte. Langsam beginnt er zu schreiben.
Deine Schriftrolle wartete hier auf mich, als ich von der Patrouille zurückkam. Ich freue mich, dass du nun eine richtige Heilerin geworden bist … würde dir gern mitteilen, dass ich etwas mit der Heilernadel zu tun habe, aber es wäre gelogen. Ich hätte dir liebend gern eine geschickt, aber ich weiß nicht einmal, wie so etwas aussieht … Der Sommer hier ist heiß. Es ist heißer als in Cyad und trockener … hätte
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