Sturm der Leidenschaft (German Edition)
abzusuchen.
Als sie gegen Mittag einen Reiter nahen sah, blieb Annes Herz fast stehen. Sie stand neben Mary und hielt deren Arm.
„Wer ist das?“, fragte sie atemlos.
„Declan?“
Anne schüttelte den Kopf.
„Declan ist nicht geritten.“
Da der Reiter im Trab ritt, näherte er sich dem Hof zügig.
„Vielleicht Polizei?“, wisperte Mary tonlos und löste damit die fürchterlichsten Bilder in Annes Kopf aus.
„Nein!“, sagte sie plötzlich. „Nein. Das ist Lord Alderton … Sieh doch nur!“
Sofort löste sie sich von Marys Arm und ging verhaltenen Schrittes auf den herannahenden Gast zu. Nicht nur, weil es von niederem Stand sprach, zu rennen, sondern vielmehr, weil Anne sich vor dem fürchtete, was der Grundherr zu sagen haben mochte.
Doch bald zerstreute sein strahlendes Gesicht alle Bedenken.
„Euer Lordschaft …“ Sie machte einen tiefen Knicks.
„Aber nicht doch, meine Liebe. Ich darf Sie doch so nennen …“
Wie groß und stolz er auf seinem Pferd wirkte.
Für einen Moment konnte Anne alles vergessen, was ihr Herz bedrückte.
Mit einem elegant federnden Sprung kam er neben seinem Pferd auf und schenkte Anne dabei ein freundliches Lächeln.
„Wie geht es Ihnen, Miss Hall?“
„Gut. Ich danke für die Nachfrage. Und selbst?“
Jetzt verdüsterte sich sein Gesicht.
„Nun, ich sah mich gezwungen, hierher zu reiten …“, hob er an und Annes Magen krampfte sich zusammen. Declan. Etwas war ihm zugestoßen und man hatte sich zuerst an den Grundherrn gewendet …
„Nachdem ich Ihr Schreiben erhalten hatte.“
Sie war für einen Moment verwirrt und konnte sich nicht besinnen, von welchem Schreiben er sprechen mochte.
„Mein Schreiben?“, sagte sie mit leicht geneigtem Kopf.
„Aber gewiss doch. Oder war es Ihnen so unwichtig, dass Sie sogleich wieder darauf vergaßen? Sie hatten mir geschrieben und darin meine Einladung zum Ball zurückgewiesen.“
Jetzt fiel es ihr wieder ein. Aber wie hätte sie auch je damit rechnen können, dass Lord A lderton höchstpersönlich deswegen auf dem Hof erscheinen würde.
„Und warum haben Sie abgelehnt, wenn ich fragen darf?“
Anne musste sich zur Konzentration zwingen.
Am liebsten hätte sie ihn sofort abgewimmelt. Irgendwie. Aber er band bereits sein Pferd an einen Pfosten und war auf dem Weg ins Wohnhaus.
„Hier wohnen Sie also …“, sagte er und sah sich dabei um.
Ein plötzliches Gefühl der Scham überkam sie.
Scham über die herrschende Dunkelheit, die Abnutzung der Möbel. Es gab keine Bilder und auch keine Bücher. Nicht einmal eine Bibel fand sich in diesem Haus.
Die Kerzen an den Wänden waren heruntergebrannt und staubig. Die einzige Lichtquelle war der offene Kamin.
Sie brauchten das Licht nicht, denn wenn es dunkel wurde, waren sie alle so müde, dass sie nur noch schlafen gehen wollten.
Lord Alderton und seine Schwester hingegen hatten zu diesen Zeiten sicherlich noch genug Energie, um Gesellschaftsspiele oder eine gute Lektüre zu pflegen.
All diese Gedanken bewegten sie, als sie sich versucht fühlte, permanente Entschuldigungen hervorzubringen.
Seine Lordschaft aber sagte kein Wort.
„Wenn Sie sich setzen mögen?“ Es kostete sie einiges an Überwindung, ihm einen Platz in Johns Sessel anzubieten, denn sie wusste, dass die Federn durchstachen und das ein oder andere Mal wilde Katzen darauf ausruhten.
Lord Alderton sah sich noch immer um. Dann rieb er seine Hände aneinander. Anne musste sie ansehen, diese langen, schmalen Finger, die noch nie einen schweren Handschlag getan zu haben schienen.
„Leider kann ich nicht so lange bleiben. Ich kam eigentlich nur her, um Sie zum Tee in meinem Haus einzuladen. Am kommenden Donnerstag um vier. Wenn Ihnen das Recht ist …“
Anne wusste nicht, was sie sagen sollte. Solch ein Kontakt barg nur Probleme. Erniedrigu ngen.
Was wollte ein Mann wie er mit einer Frau wie ihr?
Sie hatte nicht einmal ein passendes Kleid für eine Teeeinladung.
Dennoch konnte sie auch schlecht ablehnen. Immerhin war Lord Alderton nicht irgendwer.
Anne bemühte sich, sich auf den Mann ihr gegenüber zu konzentrieren, tatsächlich aber wanderten ihre Gedanken unablässig zu Declan, von dem nicht einmal ein Schatten zu sehen war.
„Haben Sie vielen Dank für die nette Einladung, Euer Lordschaft“, hob sie an. „Aber ich kann sie leider nicht annehmen. So sehr sie mich auch ehrt, so wenig passe ich doch in eine so lche Umgebung.“
Seine Züge schienen gleichsam zu
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