Sturm der Leidenschaft (German Edition)
sprang sie auf und ließ das Buch zu Boden fallen. Sie kümmerte sich nicht darum.
„Ich gehe spazieren …“, erklärte sie knapp und eilte hinaus.
Mary aber ließ ratlos die Schultern hängen.
„Mein Cape … Sagen Sie seiner Lordschaft, dass ich einen Spaziergang mache.“, stieß Anne hervor und eilte davon. Sie hörte nicht mehr, dass der Diener mahnte, es werde bereits dunkel.
Der Himmel war von einem tiefen Tintenblau, das von Streifen hellerer Wolken durchbrochen wurde.
Es gab keinen bestimmten Weg, den sie eingeschlagen hätte. Sie lief nur immer geradeaus.
Hätte sie gekonnt, sie wäre bis ans Ende der Welt gelaufen und dann über deren Rand g esprungen.
Ja, der Wunsch zu sterben war noch nie auch nur annähernd so stark gewesen wie jetzt.
Wie konnten Menschen nur den Tod fürchten, fragte sie sich. War er doch die einzig wahre Erlösung, die es gab.
Wie zerrissen sie doch war. Bei jenen Zusammentreffen, die Edward organisierte, genoss sie es, sich in allen nur denkbaren Konstellationen anderen hinzugeben. War sie aber alleine, so wurde sie beinahe vom Gefühl der Scham und der Schuld überwältigt.
Der würzige Duft des Moors stieg zu ihr empor. Das frische Grün, das noch stellenweise von Eis und Schnee überdeckt wurde. Dies war ihre wirkliche Heimat. Nicht das Herrenhaus und nicht der Hof.
Hier draußen war sie eins mit sich. Im Moor, wo sie mit Declan gewesen war.
Unter tiefster Qual erinnerte sie sich an jenen Moment, wo er mit ihr hatte fliehen wollen. Hätte sie damals gewusst, was ihr jetzt klar war, sie hätte ihn bei der Hand genommen und wäre gelaufen.
Ihre Gedanken begannen wieder, sich im Kreis zu drehen, wie sie es seit so langer Zeit t aten. Sie stahlen ihr des Nachts den Schlaf und des Tags die Seelenruhe.
In tiefster Inbrunst betete sie, Gott möge sie zu sich nehmen, oder ihr zumindest die Kraft geben, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.
Sie hatte sich ermattet auf einen Felsen gesetzt, die Hände gefaltet und sprach Gebet um Gebet, als sie plötzlich eine sich bewegende Flamme über dem Moor sah.
Erschrocken hielt sie den Atem an und erhob sich.
Es gab keinen Zweifel: Jemand stand da und schwenkte eine Fackel.
Dieses Signal konnte nur ihr gelten.
Taub an Körper und Seele machte sie sich auf den Rückweg und behielt dabei das Licht im Auge.
Bestimmt hatte Edward einen neuen Liebhaber oder eine neue Liebhaberin aufgetan. Er übertrumpfte sich selbst permanent mit neuen Fantasien und neuen Konstellationen.
Ihr Körper, so empfand sie es, gehörte schon lange nicht mehr ihr. Er war in den Besitz ihres Mannes übergegangen und der vermochte es sogar, ihr weiszumachen, dass sie es genau so wollte.
„Seine Lordschaft hat Besuch …“, sagte der aufgeregte Diener, der Anne mit der Fackel en tgegen gelaufen war.
Er geleitete seine Herrin ins Haus.
„Und wer ist es?“
„Ich kenne den Herrn nicht …“
Sie nickte und ging die breite Freitreppe hinauf. Er hatte also wieder jemanden ins Haus gebracht, um seine Lust zu befriedigen.
Längst hatte sie aufgehört, sich zu fragen, wo er diese Leute fand und nach welchen Prinz ipien er sie auswählte.
Es ging nur darum, dass sie ihren Körper hergab. Nicht mehr und nicht weniger.
„Wenn ich nicht weiß, wer der Besucher ist, werde ich ein ganz schlichtes Kleid tragen“, erklärte Anne ihrer Zofe, die in alle Vorgänge eingeweiht war.
„Wir nehmen das Gelbe mit dem weißen Kragen.“
Es war aus sattgelber chinesischer Seide angefertigt und ließ die Schultern frei. Ein weißer Spitzenvolant betonte ihre Brüste, die vom Korsett nach oben gedrückt wurden.
Als sie angekleidet war, legte Anne noch ein wenig Parfum auf und drehte sich dann vor dem hohen Spiegel.
„Ich nehme die Diamanten.“
Sie hatte keine Probleme damit, vor einem Fremden ein wenig zu renommieren.
Als die Zofe das Collier in ihrem Nacken geschlossen hatte, verließ sie ihr Boudoir und ging langsam die Treppe hinunter.
„Wo ist seine Lordschaft?“
„Im Billardzimmer …“
Sie ahnte, warum er den Gast dorthin geführt hatte. Sie würden sie auf dem Spieltisch ne hmen und Edward würde die Queues in sie einführen.
Das mochte er sehr. Manchmal fesselte er sie auch an den Tisch und ließ sie dann von den Gästen benutzen.
Undeutlich erinnerte sie sich daran, wie er zehn Herren aus seinem Club eingeladen hatte. Die hatten zwischen ihren gespreizten Schenkeln Schlange gestanden.
Sie nickte dem Diener zu, der an der Türe zum
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