Sturm der Leidenschaft
Minuten fahre ich nach London zurück.« Er hastete die Treppe hinauf und hatte das Gefühl, vor ohnmächtiger Wut zu explodieren. Dieses verschlagene, hinterlistige Geschöpf! Da raste er den ganzen Tag über staubige englische Landstraßen, um endlich bei ihr zu sein, aber sie fuhr seelenruhig nach London, um dort ihre Aussteuer zu kaufen - eine Aussteuer, für die er bezahlte .. .
»Gott sei ihrer schwarzen Seele gnädig«, knurrte er vor sich hin, während er schnell die Kleidung wechselte. Sobald er im Besitz einer Heiratserlaubnis war, würde er sie vor den Traualtar schleppen - notfalls bei den Haaren!
Doch nein! Warum sollte er auf die Erlaubnis warten? Er würde sie noch heute nacht nach Schottland entführen und dort heiraten. Die Schande, der sie sich nach ihrer Rückkehr ausgesetzt sähe, war eine gerechte Strafe dafür, daß sie ihn so hintergangen hatte!
Es war bereits nach Mitternacht, als die Kutsche vor dem hellerleuchteten Haus der Archibalds hielt, wo eine Gesellschaft in vollem Gange zu sein schien.
»Warten Sie, ich bin gleich wieder da«, rief er dem Kutscher zu und eilte die Treppe hinauf.
Die Nachtluft kühlte Whitneys erhitzte Wangen, als sie sich mit erzwungenem Lächeln den Gentlemen zuwandte, die ihr auf Emilys Terrasse hinaus gefolgt waren. Immer wieder fiel ihr beunruhigter Blick ins Innere des Hauses und suchte nach Clayton, obwohl sie wußte, daß er so spät kaum noch kommen würde. Vielleicht hatte er ihre Einladung doch nicht erhalten?
Nein, sagte sie sich. Claytons Sekretär hatte sich über die Reisepläne seines Herren sehr entschieden geäußert. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Clayton hatte ihre Einladung einfach ignoriert. Ihre Befremdung machte einem Gefühl tiefer Verletzung Platz.
Sie hatte sich dazu entschossen, die Haare locker auf die Schultern fallen zu lassen, weil er gesagt hatte, so gefielen sie ihm am besten. Sie hatte sich für eine besonders verführerische Robe aus cremefarbenem Satin mit Perlenstickerei entschieden. Sie hatte alles getan, um ihm zu gefallen, aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht zu kommen oder sein Fernbleiben zumindest zu entschuldigen.
Clayton nickte den wenigen Gästen, die er kannte, kurz zu, aber sein Blick schweifte wie der eines Panthers auf der Suche nach seiner Beute durch den Raum. Er sah, daß DuVille mit zwei Gläsern Champagner auf die Terrassentür zuging. Er folgte ihm mit den Blicken - und da draußen, auf der Terrasse, stand Whitney, umringt von mindestens einem halben Dutzend Männer.
Mit trügerischer Gelassenheit schlenderte Clayton auf die Gruppe zu. Gerade wollte er die Tür durchqueren, die DuVille eben durchschritten hatte, als sich eine Hand auf seinen Arm legte.
»Welch angenehme Überraschung, Sie hier zu treffen«, sagte Margaret Merryton.
Claytons ganze Aufmerksamkeit war auf Whitney gerichtet. Er wollte seinen Arm fortziehen, aber Margarets Finger packten fester zu. »Entwürdigend, finden Sie nicht auch?« bemerkte sie, als sie sah, wohin er blickte.
Vierunddreißig Jahre strikter Einhaltung gewisser Anstandsregeln ließen sich nicht von einem Moment auf den anderen ablegen, und so wandte sich Clayton der Frau zu, die mit ihm sprach - allerdings brauchte er in seiner Wut etliche Sekunden, um sie zu erkennen. Fast verständnislos blickte Clayton in die braunen Augen, deren Ausdruck sehr schnell von bewundernder Zuneigung zur Verachtung einer beleidigten Frau wechselte. Auf der Terrasse klang Gelächter auf, und Claytons Kopf zuckte in die entsprechende Richtung.
Margarets Hand krampfte sich konvulsivisch um seinen Arm, ihr verletzter Stolz machte ihre Stimme ganz heiser. »Wenn Sie so wild auf sie sind, dann holen Sie sie sich doch. Um DuVille oder Paul Sevarin brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Keiner von beiden wird sie heiraten.«
»Warum das?« fragte Clayton und entzog ihr seinen Arm.
»Weil Paul gerade festgestellt hat, was Monsieur DuVille seit Jahren wußte: daß keiner von beiden ihr erster war!« Sie sah, wie Clayton erbleichte und an seinem Kinn ein Muskel zu zucken begann. Sie drehte sich um und zischte über die Schulter hinweg: »Falls es Sie interessiert: Ein Stalljunge war ihr erster. Deswegen wurde sie nach Frankreich geschickt!«
Irgend etwas in Clayton zerbrach und ließ ihn jede Kontrolle über seine Empfindungen verlieren. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er Margarets Worte als weibliche Eifersucht abgetan. Aber es war kein anderer Zeitpunkt. Es
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