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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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schaffte es kaum, sich aufzusetzen.
    Endlich ließ Richard ihn los, und Ray sank vornüber in den Schnee, der sofort in seine leeren Augenhöhlen kroch. Dieser neuerliche Schmerz und der plötzliche Kälteschock in seinen Stirn- und Nebenhöhlen waren das Einzige, das ihn überhaupt noch bei Bewusstsein hielt. Zitternd hob er seine Finger an die Stirn, um den Schnee aus seinen Augenhöhlen zu holen, da spürte er einen Stiefel zwischen seinen Rippen.
    »Ich sagte, steh auf!« Richard packte ihn an seinen Haaren und zog daran, riss ihm aber lediglich das ganze Büschel heraus; es brauchte noch einen zweiten Versuch, bis Ray zumindest auf die Knie kam.
    Schneefontänen ergossen sich über sie, und die beiden Schneemobile rasten mit voll aufgedrehten Motoren davon.
    Richard schien nicht die geringste Notiz davon zu nehmen. Seine einzigen Gedanken galten Ray. Er stieß ihn in den Rücken, um ihn in Marsch zu setzen.
    »Sag ihnen das!«, brüllte er mit heiser geschriener Stimme. »Sag ihnen, dass ich sie alle umbringen werde!«
    Ray humpelte hinaus in den Sturm, die Hände in dem aussichtslosen Versuch, die Blutung zu stoppen, auf seine Augenhöhlen gepresst. Der Schmerz machte jeden bewussten Gedanken unmöglich, er war einzig und allein auf seine Instinkte angewiesen, um zu überleben. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in irgendeine Richtung zu taumeln, immer wieder hinzufallen und wieder aufstehen, solange er es noch konnte.
    »Ich liebe dich, Ray«, flüsterte der Wind ihm zu und ließ Tränen in ihm aufsteigen, die nie wieder fließen würden.
    Eine Spur von dicken Blutstropfen hinter sich herziehend, stolperte Ray weiter in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

LI
     
    MORMON TEARS
     
    Jill saß zusammengekauert mit den anderen in der Höhle, gerade so weit vom Eingang entfernt, dass der Schneesturm sie nicht erreichte, und beobachtete, wie die Kohle im Feuer langsam grau wurde und zu Asche zerfiel. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Alle starrten sie wie gebannt hinaus in den Blizzard und warteten darauf, dass die anderen zurückkamen … wenn sie überhaupt zurückkamen. Vor ihr ragten die Speere aus dem Schnee, und immer wieder hatte sie Visionen von schwarzen Echsenmonstern, die daran aufgespießt waren und ihr Blut über den Strand ergossen. Vielleicht lag es an ihrer immer stärker werdenden Angst, aber sie konnte die Visionen nicht aus ihrem Kopf verdrängen. Sie fühlte sich, als bewege sie sich am Rande der Realität und schaue dabei zu, wie sich der Wahnsinn Stück für Stück ihrer bemächtigte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ihr Geist sich immer weniger gegen die Bilder wehrte, je näher ihrer aller schlimmster Albtraum rückte. Was auch der Grund war, die Bilder waren so real, dass Jill aus vollem Halse schrie.
    Alle Gesichter drehten sich in ihre Richtung, aber keiner wagte es, sie anzusprechen. Sie ahnten auch so, was ihnen bevorstand, und keiner brannte darauf zu wissen, was Jill wusste. In ihrer jetzigen Lage war es wahrscheinlich sogar besser, nicht zu viel zu wissen. Sie konnten sich denken, dass Richard mit seinen bewaffneten Männern anrücken würde, und sie wussten, dass auch der Schwarm schon bald über sie herfallen würde. Sie wussten, dass sie sterben würden, und es lag ein gewisser Trost darin, nicht zu wissen, wie.
    Mare schlang von hinten seine Arme um Jill und zog sie an sich. Jill hörte auf zu schreien, aber keiner von ihnen wollte ihr in die Augen schauen, aus Angst vor dem, was sie darin sehen würden.
    »Ist ja gut. Es ist alles gut«, flüsterte er ihr ins Ohr, aber sie hörte ihn kaum.
    Sie sah den Strand und den Schutzwall dahinter. Dazwischen abgebrochene und blutverschmierte Speere und diese schwarzen Kreaturen, teilweise zu mehreren übereinander daran aufgespießt. Die, die es geschafft hatten, sich noch einmal zu befreien, lagen tot über die gesamte Breite des Strandes verteilt. Überall auf dem Wall hingen sie aufgespießt, und eine weiße, zähe Flüssigkeit troff aus ihren Mäulern. Dort, wo Evelyn ihren Seetang angepflanzt hatte, der jetzt mit langen, breiten Blättern wild wucherte, schwamm zwischen den zersplitterten Plastikrohren dieselbe weiße Flüssigkeit auf dem Wasser. Jill versuchte, ihren Blick nicht auf die anderen Leichen zu richten, die in zerfetzter Kleidung zwischen den Toten des Schwarms lagen, aus Angst, sie würde ihre Gesichter erkennen und auch noch das letzte bisschen Kontrolle über ihren Verstand verlieren. Stattdessen

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