Sturm der Seelen: Roman
schaute sie hinaus auf den See. Ein großer Teil des Eises war weggebrochen, und sie konnte weite Flächen schwarzen Wassers erkennen, in dem kleine Schollen trieben wie Miniatureisberge. Das Feuer auf der Insel war erloschen, wie sie es bereits in einer Vision gesehen hatte – ebenso wie den Tod vieler ihrer neu gefundenen Freunde.
Eine Gestalt tauchte zwischen Schnee und Dunkelheit auf, ein einsamer Wanderer, der über das getaute Eis zu wandeln schien, doch dann verschwand die Vision, und sie sah, wie jemand über die Eisfläche auf sie zukam. Alle hielten den Atem an. Zu dritt waren sie losgegangen, und jetzt kehrte nur einer zurück.
»Phoenix!«, rief Missy und rannte hinaus in den Schneesturm. Phoenix kam den Wall heruntergerutscht, und Missy schloss ihn sofort in die Arme und küsste ihn.
»O mein Gott«, keuchte Evelyn. »Adam …«
»Wo ist Ray?«, fragte Darren, auch wenn er bei ihrer Verabschiedung geahnt hatte, dass er seinen Freund wohl nie mehr wiedersehen würde.
Missy überschüttete Phoenix nur so mit Küssen, ihre Finger in seinen Anorak gekrallt, berührte sie jedes freie Fleckchen Haut mit ihren Lippen, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Ihre Tränen benetzten ihrer beider Lippen, und seine Haut war so kalt, dass es wehtat, sie zu berühren, aber sie konnte sich nicht von ihm losreißen, aus Angst, dass dies die letzte Gelegenheit sein würde. Doch schließlich machte Phoenix sich von ihr los und blickte ihr in die Augen.
»Du weißt, dass ich immer zu dir zurückkommen werde«, flüsterte er. »Nichts auf dieser Welt kann mich von dir trennen.«
Schniefend küsste Missy ihn noch einmal, dann ließ sie seine Jacke los und nahm Phoenix’ Hand.
»Was ist mit den anderen geschehen?«
»Adam ist zurückgegangen, um Ray zu holen. Ich weiß nicht, was jetzt geschehen wird.«
Missy nickte, dann drückte sie Phoenix’ Hand, und sie gingen gemeinsam zurück zur Höhle, wo die anderen angespannt auf seinen Bericht warteten, was mit dem Rest der Gruppe geschehen war. Doch zum ersten Mal wusste er ganz einfach nicht, ob einer oder beide oder vielleicht auch gar keiner von ihnen zurückkommen würde, und beschloss, die unausgesprochen über ihnen schwebende Frage nicht zu beantworten.
»Der Moment, auf den wir uns vorbereitet haben, ist gekommen«, sagte Phoenix und hoffte, dass seine Stimme nicht so schwach klang, wie er sich fühlte. »Der Schwarm wird bald hier sein. Ich spüre es.«
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Mare. »Adam und Ray sind weg, und wir haben keine Ahnung, wo Norman ist. Damit sind wir nur noch neun gegen eine ganze Armee von Monstern. Und Richard mit seinen Männern.«
»Zwei von ihnen werden zurückkommen«, sagte Jill. »So viel weiß ich. Ich glaube, einer von ihnen ist Ray. Aber da ist etwas … irgendetwas ist mit seinen Augen … als ob sie nicht mehr da wären.«
»Wir können nichts anderes tun, als uns bereit zu machen«, sagte Phoenix. »Dies ist unsere letzte Chance.«
Phoenix ging in den hinteren Teil der Höhle, griff sich zwei der Benzinkanister, die sie aus dem Tank des Trucks befüllt hatten, und gab sie Mare. Die anderen beiden nahm er selbst, dann stapften sie zusammen hinaus in den Sturm, gingen an der Felswand entlang bis zu dem Holzgerüst, das sie errichtet hatten, kletterten das Fundament aus Sand hinauf und schütteten das Benzin in hohen Bögen über das Holz, um einen möglichst großen Teil des Gerüsts damit zu durchtränken. Dann stellten sie die Kanister ab und gingen zurück zur Höhle. Phoenix griff mit seinen Handschuhen einfach ins Feuer und zog einen Brocken Kohle heraus, der noch hellrot glühte. Die Hitze in seinen Fingern war schmerzhaft und wunderbar zugleich, wie ein Jongleur warf er die glühende Kohle zwischen seinen Händen hin und her und rannte zurück zum Gerüst, wo er sie sogleich gegen den untersten Holzbalken presste, den er erreichen konnte. So stand er da und wartete, und gerade als er schon aufgeben und ein neues Stück Kohle holen wollte, zuckte eine blässlich blaue Flamme aus dem durchtränkten Balken und breitete sich zunächst zögerlich, dann immer schneller in alle Richtungen aus. Mit jeder Sekunde krochen die Flammen höher, verfärbten sich zunächst gelb und schließlich orange, als sie endlich von dem Benzin auf das Holz selbst übergriffen.
Jetzt versammelten sich auch die anderen um ihn herum und beobachteten, wie ihre Straßensperre in hellen, drei Meter hohen Flammen loderte und dicke,
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