Sturm der Seelen: Roman
Jackett und der Seidenkrawatte sah er aus, als wäre er ein erfolgreicher Anwalt oder Geschäftsmann gewesen, bevor die Welt sich grundlegend verändert hatte. Vielleicht lag es daran, dass der Mann sogar unter diesen Umständen so aalglatt wirkte, jedenfalls verspürte Adam eine instinktive Abneigung gegen ihn. Nichtsdestotrotz spürte er aber auch die Wahrheit, die in seinen Worten lag. Alle hatten es unterschwellig gespürt, es hatte nur noch keiner gewagt, es auszusprechen. Der Mann hatte recht. Sie hatten erst den Anfang des Endes der Welt gesehen. Es würden noch viele Schlachten folgen und viel Blut vergossen werden. Adam konnte es fühlen.
Jemand zupfte an seinem Ärmel.
»Wir müssen unser Lager befestigen und uns gegen die Dinge, die kommen werden, wappnen«, sagte der Mann auf dem Ford und hob im Redeeifer seine Stimme. »Die Zeit ist gekommen, da wir uns aus der Asche erheben und von neuem beginnen müssen.«
Adam drehte sich um und stand einem Jungen gegenüber, der nicht älter als zwanzig Jahre sein konnte.
»Jesus«, keuchte Adam, als er das Blut im Gesicht des Jungen sah. Seine Augen waren dunkle Höhlen, sein Blick der eines Gejagten.
»Wir müssen dir erst mal das Gesicht abwaschen, damit ich mir deine Wunden ansehen kann«, sagte Adam und griff bereits nach seiner Feldflasche.
»Nein. Mir geht’s gut«, erwiderte der Junge. »Ich muss nur … Es gibt da etwas, das ich Ihnen zeigen muss …«
Adam sah den jüngeren Mann genauer an. Das Blut in seinem Gesicht war bereits getrocknet, und außer den Stellen an seinen Lippen, wo die Haut von der Kälte aufgeplatzt war und in kleinen Fetzen herabhing, schien er keine offenen Wunden zu haben.
»Was musst du mir zeigen?«, fragte Adam. Hinter ihm brach schallender Applaus aus, begleitet von ein paar Jubelrufen, mit denen die Leute die leidenschaftliche Rede des Mannes feierten.
»Sie müssen es mit eigenen Augen sehen.«
»Glaubst du, man kann dem Typen vertrauen?«, fragte Norman. Als Adam nicht antwortete, drehte er sich ebenfalls um und sah den blutverschmierten Jungen. »Heilige Scheiße! Was ist denn mit dir passiert?«
»Er sagt, er muss mir etwas zeigen«, meinte Adam.
»Ja, bitte … Sie können auch mitkommen. Jeder muss es sehen.«
»Na dann …«, meinte Norman. »Dann weiß ich ja, was ich zu tun hab.«
»Okay«, sagte Adam und schüttelte das letzte bisschen Wasser, das noch in seiner Feldflasche war, auf ein Stück Stoff, dann bedeutete er dem blutverschmierten Burschen, er solle sich damit das Gesicht abwischen.
»Danke.« Er nahm das Tuch und fuhr sich damit über die Lippen.
»Wie heißt du?«, fragte Adam.
»Ray Gorman.«
»Wollen wir dann mal, Ray?«, meinte Norman.
Ray wischte sich noch das verkrustete Blut aus seinen Bartstoppeln, dann drehte er sich um und ging voraus, zurück in die Höhle. Als sie bei dem Lagerfeuer ankamen, inspizierte er die dickeren Äste, die aus den Flammen ragten, und zog einen davon heraus. Wie eine Fackel hielt er ihn vor sich in die Höhe.
»Sie werden auch jeder eine brauchen«, sagte er und ging entschlossen auf den Spalt in der Wand zu, der in das Innere des Berges führte.
»Sag mir, dass das nicht sein Ernst ist«, meinte Adam, als er sah, wie das flackernde Licht in den Eingang des Felsentunnels fiel.
»Platzangst?«, fragte Norman und zog einen langen Ast aus dem Feuer, den er an Adam weiterreichte, um dann einen weiteren für sich selbst herauszufischen.
»Ich habe mich in letzter Zeit nur viel zu lange in Höhlen herumgetrieben«, erwiderte Adam und versuchte, die Erinnerung an Ali Sadr und seine Freunde, die er in dem unterirdischen Labyrinth verloren hatte, zu verdrängen.
Norman ging voraus, dann betrat auch Adam den schmalen Gang. Jede auch noch so kleine Erhebung in der Felswand warf einen flackernden Schatten, der im Schein der Fackeln durch die Dunkelheit tanzte. Ray war fast zehn Meter vor ihnen, und der lodernde Schein seiner Fackel ließ auch ihn kaum realer als die tanzende Dunkelheit um sie herum erscheinen. Er bog nach rechts ab und war für kurze Zeit aus ihrem Sichtfeld verschwunden, doch anstatt dass sich die Dunkelheit nun nur noch kälter um sie geschlossen hätte, schien es immer wärmer zu werden, je weiter sie ins Innere des Berges vordrangen. Jetzt kamen auch sie um die Biegung herum und sahen, dass Ray ihnen bereits ein großes Stück voraus war. Seine Fackel war nur noch ein blasser Lichtschimmer, als wolle sie jeden Moment erlöschen, und erst als
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