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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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alles eine rationale Erklärung. Er musste sie nur finden. Nichts weiter.
    Trotzdem nagte noch immer etwas an ihm, während er zurück zu seinem Anhänger ging … wenn er also die Möglichkeit in Betracht zog, dass sie alle hier von einer Art spiritueller Macht zusammengeführt worden waren, um sich auf die kommende große Schlacht vorzubereiten, was würde dann passieren, wenn sie verloren?

XII
     
    MORMON TEARS
     
    Richard machte Phoenix Angst. Nicht wegen dem, was er sagte, sondern weil er ihn so sehr an den Mann erinnerte, der ihn sein gesamtes Leben lang in den Kellern all dieser Häuser gefangen gehalten hatte. Eine Aura des Todes umgab ihn, ein schwarzer Schleier wie der Ölteppich um einen sinkenden Tanker. Phoenix konnte sich nicht dazu überwinden, den Mann auch nur anzusehen, denn jedes Mal, wenn er das tat, dröhnten in seinen Ohren die Schreie der Sterbenden.
    Niemandem außer ihm schien das aufzufallen. Nicht einmal Missy, die mit ihrem Bruder zum Strand hinuntergegangen war, um besser hören zu können, was Robinson zu sagen hatte. Phoenix wusste nicht, woher seine Angst kam, und noch viel weniger wusste er, wie er sie in Worte fassen sollte. Alles was er wusste, war, dass dieser Mann ihnen allen den Tod bringen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
    Phoenix zitterte. Er schlang seine Arme um die Brust und zwang sich, seine Augen von dem Schauspiel unten am Strand loszureißen und hinaus auf den See zu schauen. Am seichten Ufer staksten ein paar Vögel auf ihren dürren Beinen durchs Wasser, rannten im Rhythmus der Brandung auf und ab. Er konnte nicht erkennen, was sie da mit ihren nadelspitzen Schnäbeln aufspießten, aber es schien in jedem Fall genug davon zu geben, denn alle paar Sekunden schluckte einer der purpurroten Vögel sein Häppchen hinunter und gluckste zufrieden mit aufgeblähtem Kehlsack wie ein Ochsenfrosch kurz vorm Quaken.
    Phoenix stand auf und watete hinaus ins Wasser. Scheu flogen die Vögel auf, flatterten durchdringende Klagelaute ausstoßend um ihn herum und ließen sich dann mit einem gewissen Sicherheitsabstand wieder um ihn nieder. Das Wasser war so kalt, dass es regelrecht wehtat, aber der Schmerz war nur eine willkommene Ablenkung von den Gedanken an diesen Mann und den von ihm ausgehenden Hauch des Todes.
    Ein Schrei von irgendwo über ihm zerriss die Luft und verjagte die Vögel in alle Richtungen. Phoenix hob den Kopf und starrte in den wolkenverhangenen Himmel. Die Luft war immer noch erfüllt von Asche, aber mittlerweile hatte sich seine Lunge so weit daran gewöhnt, dass sie beim Atmen nicht mehr schmerzte. Auch die Blitze hatten nachgelassen, nur ab und zu zuckte ein violettes Lichtband von einer Wolke zur anderen. Etwas Weißes blitzte kurz auf, bevor es wieder zwischen den Wolken verschwand, und ein weiterer schriller Schrei hallte über den Himmel.
    Phoenix blickte hinüber zu den anderen, die sich jetzt alle um das prasselnde Feuer am Eingang der Höhle versammelt hatten.
    Als er wieder hinauf in den Himmel schaute, konnte er das weiße Etwas deutlich erkennen. Es hatte die Form eines Kreuzes. Es stieß einen weiteren Schrei aus und schien in weiten Kreisen langsam zu ihm herabzugleiten. Es kam näher und näher, bis Phoenix seine weißen Flugfedern und die langen Schwanzfedern, die es in einem flatternden Schweif hinter sich herzog wie ein Pfau, erkennen konnte. Sein Kopf schien golden zu funkeln, als das Tier einen weiteren Schrei ausstieß. Krallen kamen unter seinem flauschigen Bauch zum Vorschein, dann richtete der Vogel beide Flügel senkrecht nach oben. Er schoss auf die Wasseroberfläche zu, als hätte er es auf einen Fisch abgesehen, aber im letzten Moment breitete er seine mächtigen Schwingen wieder aus, um seinen rasenden Sturzflug abzufangen und sich direkt vor Phoenix am Ufer des Sees niederzulassen.
    Es war der schönste Vogel, den er sich nur vorstellen konnte. Sein seidiges Gefieder war so weiß, dass es zu leuchten schien, und dabei so dicht und flauschig wie der Winterpelz eines Landsäugetiers. Sein Schnabel sah aus wie ein Kegel aus purem Gold, umgeben von einem Kranz schneeweißer Daunenfedern. Die Augen des Geschöpfs waren von schwarzen Sichelmonden umrahmt, aber es war das Innere dieser Augen, das Phoenix in seinen Bann schlug: Die Augäpfel waren fast ebenso strahlend weiß wie das schimmernde Gefieder und leicht mattiert, wie mit Nebel gefüllte Kristallkugeln.
    Fast einen Meter groß war der Vogel, der da vor ihm saß, die

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