Sturm der Seelen: Roman
Kopfschütteln leise zu sich selbst. Doch was in aller Welt konnte sie dagegen unternehmen? Sie könnte sie höchstens wieder ausgraben und versuchen, sie, geschützt von den Elementen, in einem Becken aufzuziehen, aber sie hatten nur relativ kleine Kanister dabei, in die jeweils nur eine Pflanze passen würde. Sie könnte natürlich auch nach Salt Lake City fahren und dort ein paar Aquarien auftreiben, aber ohne ausreichend Sonnenlicht würden die Pflanzen nicht durchkommen, und wenn sie sie draußen ließ, um das wenige Sonnenlicht, das es noch gab, voll auszunutzen, wäre sie wieder bei ihrem Ausgangsproblem. Die einzige Möglichkeit war, den See irgendwie zu erwärmen, und dazu müsste sie wohl die Erde selbst aufreißen, etwas anderes fiel ihr beim besten Willen nicht ein.
Evelyn weigerte sich, ihren Lebenstraum so einfach aufzugeben. Nicht jetzt. Es musste eine Lösung geben, nur blieb ihr nicht mehr viel Zeit, um sie zu finden …
Beide Arme zur Seite ausgestreckt, um ihr Gleichgewicht besser halten zu können, stand sie auf und balancierte über die Felsen, bis sie wieder zurück auf den Sandstrand springen konnte. Der Schnee war jetzt gerade tief genug, dass er ihre Schuhe bedeckte, aber wenn sie sich die schwarzen Wolken, die dort am westlichen Himmel hingen, so anschaute, wusste sie, dass es noch wesentlich mehr davon geben würde, bevor der Sturm vorüber war.
Eigentlich war sie nur wegen ihres Seetang-Projekts hier am See geblieben, und jetzt, da die Pflanzen abzusterben drohten, fragte sie sich, ob sie nicht mit den anderen hätte gehen sollen, bevor ihr das Gleiche widerfuhr wie ihren Pflanzen. Trotzdem, dieser Ort hier hatte eindeutig etwas Spirituelles an sich. Der furchtbare Tod ihres Vaters hatte sie quer durchs Land bis hierher nach Mormon Tears geführt, und bisher hatte sich dieser Umstand als ihre Rettung erwiesen. Alle waren hierhergekommen, geführt einzig und allein durch diese kryptischen Worte. Was hatte das wohl zu bedeuten? Sie war einigermaßen sicher, dass sie den richtigen Ort aufgesucht hatte, den, an dem sie sein sollte, aber was sollte sie als Nächstes tun? Sie hatte das Gefühl, als würden sie alle auf etwas warten, aber auf was?
Nachdenklich schlenderte sie an den Überresten des Lagerfeuers auf dem Strand vorbei. Das Holz war fast vollständig zu Asche verbrannt und gerade erst weit genug abgekühlt, dass der Schnee darauf liegen blieb. Die Fußspuren der anderen wurden bereits vom Schnee überdeckt und würden bald völlig verschwunden sein. Auch die Felseninsel draußen auf dem See, dort wo seine Oberfläche den Horizont berührte, war jetzt nur noch ein kleiner, weißer Fleck, fast vollkommen begraben unter einer immer dicker werdenden Schneedecke.
Sie ging durch den Höhleneingang und schlüpfte dann durch die Öffnung in der Wand, hinein in den dahinterliegenden, stockfinsteren Gang, und ließ ihre Finger über die Seitenwände des Tunnels gleiten, damit sie nicht gegen einen Felsvorsprung stieß. Allmählich wurde die erdrückende Dunkelheit von einem schwachen Lichtschein erhellt, und sie konnte ganz leise die Stimmen der anderen hören, die vorausgegangen waren.
Der Rest der Gruppe stand etwas unterhalb in einer Höhle, die von dem flackernden Schein des Feuers, das sie mit dem letzten Rest Holz in Gang gesetzt hatten, matt erleuchtet wurde. Evelyn wollte lieber gar nicht erst daran denken, was sie tun sollten, um sich irgendwie warm zu halten, sobald die Flammen auch das letzte bisschen Brennmaterial zu Asche verwandelt hatten. Ein paar aus der Gruppe standen auf den verschiedenen Ebenen des Pueblos und zerrten größere Stücke Holz und andere Gegenstände aus der Dunkelheit, um sie dann nach unten zu werfen, wo sie aufgestapelt wurden. Eines der Mädchen stand neben einem Topf, aus dem es nach Fertig-Pasta roch, während das andere mit einer Kanne Wasser in der Hand durch die Höhle lief.
Die Höhle war kein besonders gemütliches Zuhause, aber wärmer, als sie gedacht hatte, und mindestens doppelt so groß.
Als sie gehört hatte, dass die anderen ein Pueblo in der Höhle gefunden hatten, hatte sie nicht recht gewusst, was sie erwarten sollte, aber das hier übertraf ihre wildesten Vorstellungen. Es sah beinahe aus wie eines dieser schrägen Motels, die man sonst nur im tiefsten Südwesten fand. Sie hatte auf Gemälden und in Bildbänden schon Ähnliches gesehen, aber noch nie mit ihren eigenen Augen. Der Zahn der Zeit hatte bereits gewaltige Spuren
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