Sturm der Seelen: Roman
schaut man nicht ins Maul, würde ich sagen.«
»Eben das meine ich. Was genau erwartet uns hier unten eigentlich?«
XX
SALT LAKE CITY
Es war absolut perfekt. Hätte Richard die Augen geschlossen und sich ein Gebäude ausgemalt, das all ihre Bedürfnisse erfüllen würde, es hätte genau so ausgesehen. Richard konnte nicht anders, als sich zu seiner Genialität zu beglückwünschen. Hätte er an so etwas wie Schicksal geglaubt, dann hätte er sich jetzt vorgestellt, wie Fortuna mit einem wohlwollenden Lächeln auf ihn herabblickt.
»Fabelhaft.« Richard stand mit dem Rücken zur Straße auf dem Parkplatz und bewunderte seine Festung.
Das Renaissance Inn war einer mittelalterlichen Burg nachempfunden, von den übergroßen, grauen Mauersteinen bis hin zu den roten Zinnen auf dem Dach des Gebäudes. Das Einzige, was noch fehlte, war eine Zugbrücke, aber auch die zweiflügelige Glastür des Haupteingangs und die beiden Nebeneingänge an den Seiten dürften nicht allzu schwer zu verteidigen sein. Falls es überhaupt nötig werden sollte, was sich erst noch herausstellen musste.
Er schaute hinüber zu dem hellblauen Bus, der jetzt neben dem Haupteingang parkte, und beobachtete, wie der Junge zusammen mit seiner Mutter hinaus aus dem Fahrzeug hinunter in den tiefen Schnee kletterte. Die dunklen Abgaswolken aus dem alten Gefährt hingen über dem Parkplatz, während die beiden zur Eingangstür gingen, hinter der die anderen sich bereits in der Hotellobby drängten. Er musste den Jungen in seiner Nähe behalten. Er war wie der naive junge Rasputin – der Schlüssel zur Macht, den Richard brauchte. Solange er nur diesen Jungen an seiner Seite hatte und dessen Träume für seine Zwecke nutzen konnte, war er in der Lage, sie als der Prophet anzuführen, für den sie ihn alle zu halten begannen. Solange sein Gefolge glaubte, er hätte übernatürliche Fähigkeiten und verfüge dank seiner direkten Verbindung zu Gott über Kräfte, die kein anderer von ihnen besaß, würden sie ihm bis in den Schlund der Hölle selbst folgen.
Ein metallisches Klirren hinter ihm ließ Richard herumfahren. Das letzte Fahrzeug ihrer Karawane hatte gerade das Eingangstor passiert, das Garrett hinter ihnen zuzog. Das Hotelgrundstück war rundherum von einem schmiedeeisernen Zaun eingefasst, der an die drei Meter hoch sein mochte, und auf jedem Pfosten des Zauns thronte eine scharfe Metallspitze. Es wäre ein Leichtes, das Ganze zusätzlich oben mit Stacheldraht zu versehen und auf halber Höhe vielleicht sogar ein paar Stromdrähte um den Zaun zu wickeln. Die Zwischenräume im Zaun waren ideale Schießscharten, von denen aus sie jeden Angreifer erledigen konnten, bevor er überhaupt dazu kam, über den Zaun klettern zu wollen.
Auf der anderen Straßenseite befand sich ein gigantischer Parkplatz, dahinter ein Supermarkt, der so groß war, dass ein Football-Feld hineingepasst hätte. An den Laderampen standen mehrere Sattelschlepper, auf denen das Safeway -Logo prangte. Mindestens ein Dutzend ganz ähnlich aussehender Grundstücke erstreckte sich zu beiden Seiten der Straße in Richtung des Flughafens, und auch wenn er durch den Schneesturm hindurch nicht allzu viel erkennen konnte, war sich Richard dennoch sicher, dass es sich zumindest bei einem davon um einen Zulieferer für Eisenwarenhandlungen handeln musste. Und mit etwas Glück wäre auch ein größerer Sportartikelmarkt darunter, wo sie sich mit Waffen und Munition eindecken konnten – was schließlich das Wichtigste von allem war. Keiner von ihnen würde sich richtig sicher fühlen, bevor sie nicht ausreichend bewaffnet waren. Und wer würde den Schlüssel für ihre Waffenkammer verwahren?
Richard strahlte. Macht war etwas Wunderbares.
Mit unerschütterlicher Zuversicht schritt er durch die Eingangstür, heraus aus dem Unwetter. Vielleicht war doch etwas dran an seinem frei erfundenen Draht zum Göttlichen. Alles hatte sich perfekt ergeben, wenn auch nicht, weil er es so vorausgesehen hatte, aber immerhin so, wie er es sich erträumt hatte. Vielleicht war er in dieser schönen neuen Welt der in Erfüllung gehenden Träume mehr als nur ihr Anführer. Und schon bald … schon bald würden sie ihn als einen Gott verehren.
Richard spürte die stechende Kälte des Sturms nicht mehr, nicht das Schmelzwasser des Schnees, der auf seinem Kopf und den Schulterpolstern seines Jacketts lag. Nicht einmal seine klatschnassen Slipper störten ihn. Alle warteten sie nur auf ihn, als er
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